Im eigenen Schatten
2003 mit dreizehneinhalb Prozent. »Acht Flaschen zu zweit oder zu dritt? Der Staatsanwalt hat vielleicht Augen gemacht. Er ist der Meinung, dass niemand auf der Welt eine solche Menge trinken kann.«
»Logisch. Wie ich ihn einschätze, gehört er zu denen, die nur halbe Flaschen zum Essen bestellen. Eine richtige Costata wiegt gut und gern zwölfhundert Gramm, die Hälfte macht der Knochen aus, dazu die Beilagen, ist eine ordentliche Basis. Die Anzahl der Flaschen sagt uns noch gar nichts. Alles hängt vom Zeitraum des Genusses ab und von den Gewohnheiten der Anwesenden. Spechtenhauser war ein geübter Trinker, die Mediziner würden ihn deshalb wohl gleich als Alkoholiker abstempeln. Nach allem, was ich bisher über ihn erfahren habe, war er hingegen ein Genießer. Wer weiß, ob er nicht schon seit dem Nachmittag dort saß?«, sagte Laurenti.
»Ich bitte Sie, Commissario«, die Inspektorin hob entrüstet ihre Stimme, »dann müsste der Gast ein Mann von der Statur Spechtenhausers gewesen sein, und der hätte seine Fiorentina aufgegessen. Ich habe nach der Widmark’schen Formel hochgerechnet.« Pina Cardareto zog ein Blatt hervor. »Eins Komma sechs Promille hat der Gerichtsmediziner im Blut der Leiche festgestellt. Spechtenhauser hatte feste Gewohnheiten: Wenn er wie jeden Morgen um fünf Uhr aufgestanden ist und, wie die Haushälterin beschwor, abends nie nach elf zu Bett ging, hatte er nur sechs Stunden, um Alkohol abzubauen. Er brachte etwas mehr als einen Doppelzentner auf die Waage. Bei seiner Konstitution baut man maximal null Komma zwei Promille pro Stunde ab, ergibt beim Schlafengehen also mindestens zwei Komma acht. Ich wäre mausetot, der Staatsanwalt auch.«
»Spechtenhauser ist mausetot, Pina.« Laurenti musterte die Inspektorin und schwieg eine Weile. »Aber nicht, weil er besoffen war. War bei der Durchsuchung jemand von der Familie anwesend?«
»Gertrud Spechtenhauser. Sie hat nur nach dem Durchsuchungsbefehl gefragt und uns dann arbeiten lassen. Während wir mit Schutzkleidung und Latexhandschuhen arbeiteten, hat sie bei eingeschalteter Klimaanlange draußen im Wagen gewartet und telefoniert.«
»Kannte sie den Gast ihres Vaters?«
»Nein, aber es war auch nicht die richtige Gelegenheit, mit ihr zu reden. Die Telefonkarten aus seinen Geräten werden im Moment ausgewertet, eine Liste der Gespräche der letzten vier Wochen müsste morgen vorliegen. Und die Kollegen sitzen über seinem Computer. Wichtiger scheint mir dies zu sein.«
Pina zeigte auf ein kleines Notizbuch und drei Blätter, bei denen es sich auf den ersten Blick um Verträge handeln musste. Neben Spechtenhausers unverwechselbarer Unterschrift trugen sie die anderer Personen. Sie waren auf Deutsch ausgestellt. Die handschriftlich eingesetzten Beträge lagen zwischen zwei- und vierhunderttausend Euro.
»Das haben die Kollegen aus den Flugzeugtrümmern gerettet. Es sind Schuldscheine. Ich habe sie von Ihrer Tochter übersetzen lassen, Commissario.«
»Der Text ist auf allen identisch, als wären es Formulare. Nur Personen und Beträge unterscheiden sich. Dafür stimmen die Ablaufdaten überein. Ende des Monats sind sie alle fällig. Zusammen fast eine Million. Wenn das kein Motiv ist?«
»Die Ausstellungsdaten und die Orte sind genauso unterschiedlich wie die Schuldner. Dieser wurde in Brixen ausgefertigt, der in Tramin und der dritte in Toblach. Und die Laufzeiten sind auch nicht dieselben. Wenn jemand das Wasser so bis zum Hals steht, dass er einen Schuldschein unterschreibt, wird er dies ziemlich sicher für sich behalten. Sonst verliert er die letzte Kreditwürdigkeit, die er noch hat.«
»Ich habe nicht behauptet, dass es sich um eine Verschwörung handeln muss, Commissario.« Pina ballte die Fäuste. »Auch ein einzelner hoher Betrag kann Motiv genug sein.«
»Stellen Sie trotzdem fest, ob diese Personen sich kennen.«
Pina schüttelte den Kopf. »Davon gehe ich aus. In einer Provinz mit einer halben Million Einwohnern sind doch fast alle miteinander verwandt. Beim Ersten handelt es sich um einen spielsüchtigen, homosexuellen Gastwirt, der Zweite ist ein frisch geschiedener Winzer, der auch eine Apfelplantage bewirtschaftet, und der Dritte ist ein kleiner Bauunternehmer, dessen Kunden nicht bezahlten. Geschäftlich haben sie keine Verbindungen. Das haben wir überprüft.«
»Und dieses Notizbuch?«
»Dies zu entschlüsseln ist schwieriger. Er hat mit Bleistift geschrieben und hatte eine ziemliche Sauklaue. Soweit ich
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