Im eigenen Schatten
schaltete vorsichtig die Espressomaschine ein. Es war verdächtig still. Selbst seine Schwiegermutter schien noch zu schlafen. Laura hatte gestern am Telefon gesagt, dass sie einige Freundinnen zum Abendessen eingeladen habe, offensichtlich war es spät geworden. Als Proteo Laurenti die Namen der Damen vernahm, hatte er sich sogleich eine Ausrede einfallen lassen. So viel Silikon und Botulinumtoxin im Haus waren lebensgefährlich, ein Mordfall durch Plastiksprengstoff war genug.
Auf sein Bad im Meer verzichtete er heute. Gutgelaunt deckte er den Frühstückstisch, plazierte den Geburtstagsstrauß in der Mitte und setzte sich mit der Zeitung und einer Tasse Espresso auf die Terrasse. Nach drei Stunden Schlaf hatte er das Hotel in Otočec um fünf Uhr früh verlassen, ohne Živa zu wecken, und platzte dennoch vor Energie und guter Laune.
Die Meldungen hingegen waren bitter; die Ratingagenturen hatten wieder einmal zugeschlagen. Die Piigs – Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien – standen angeblich vor dem Staatsbankrott. Standard & Poor’s, Moodys oder Fitch waren Privatunternehmen, die den Renditedruck der Medienkonzerne erfüllen mussten, denen sie gehörten, und welche synergetisch die hilfreichen Schlagzeilen in die Welt hinaussandten, die das Geschäft beförderten. Auch Schiedsrichter waren korrumpierbar, wie die Fußballskandale der letzten Jahre gezeigt hatten.
Ein Artikel berichtete, dass immer häufiger betagte Kunden am Bankschalter vorstellig wurden, die ihr Erspartes abheben wollten, das sie zu Hause vermutlich in die Matratze einnähten oder im Gefrierfach zwischen nackten Putenbrüstchen zu verstecken suchten.
Auf der nächste Seite wurde von der Studie Zürcher Wissenschaftler berichtet, die nachwies, dass fünfzig multinationale Unternehmen die Geschicke der Welt bestimmten: Ratingagenturen, Finanzinstitute und Mineralölkonzerne, die mehrheitlich in England oder den USA ansässig waren. Die drei Forscher beharrten auf der Objektivität ihrer Studie und verwehrten sich sogleich aller Verschwörungstheorien.
In Zeiten der Krise kaufte, wer die Mittel hatte, billig ein. Einen idealeren Zeitpunkt, Geld in großem Stil zu waschen gab es nicht. Das weltgrößte Unternehmen unter den Global Playern war das organisierte Verbrechen, seit geraumer Zeit tätigte es Milliardeninvestitionen, gab angeschlagenen Banken die nötige Liquidität und fand immer mehr Rückhalt in der Politik.
Es war ein Tag, an dem die Zeitungslektüre lohnte. Živa Ravno hatte den Sachverhalt schon beim Abendessen erwähnt. Und wenn sie davon wusste, konnte es auch den zuständigen italienischen Kollegen nicht entgangen sein. Die Führungsebene der Camorra hatte sich laut Zeugenaussagen über drei Jahre in Slowenien einquartiert und dort tun und lassen können, was sie wollte. Der Nachbarstaat war zur Drehscheibe der Operationen der Clans geworden, mit denen sie ihre Führungsposition im weltweiten Drogenhandel auszubauen vermochten. Auch Großbritannien und Skandinavien waren ideale Standorte, an denen verbrecherische Gruppen ungestört agieren konnten, weil der Sicherheitsapparat sich nicht um sie kümmerte. Nicht alle Länder verfügten überhaupt über die entsprechenden Polizeistrukturen und Ermittlungsmethoden. Eine bittere Realität. Staatsanwaltschaft und Polizei reagierten in Slowenien angeblich nur auf Aufforderung von außen. Doch war es wirklich vorstellbar, dass sie nichts vom Aufenthalt der Camorristi wussten? Živa hatte sogar behauptet, dass die slowenischen Institutionen von verschiedensten Gruppen unterlaufen seien, darunter Clans aus Russland, Serbien und der Türkei. Ungeheuerlich. Allein in Italien betrug der Jahresumsatz aus diesen Geschäften einhundertvierzig Milliarden Euro, hundert davon waren Reingewinn. In der Europäischen Union war Italien der drittgrößte Beitragszahler. Wie groß mochte das Geschäft dann wohl in Deutschland und Frankreich sein? Zogen die anderen Länder bei den Ermittlungen nicht mit, befand man sich auf verlorenem Posten.
Schon jetzt platzten die Gefängnisse aus allen Nähten, die Zellen waren überfüllt, tägliche Spannungen und Übergriffe unter den Inhaftierten die Normalität. Und wenn man der Zeitung glauben konnte, dann gab es Insassen, die sich mit raffinierten Tricks Hafterleichterungen zu verschaffen suchten.
Laurenti traute seinen Augen nicht. War der Gaul der Phantasie mit dem Journalisten durchgegangen? Das Coroneo, die Triestiner Haftanstalt,
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