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Im eigenen Schatten

Im eigenen Schatten

Titel: Im eigenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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ist, würde ich mich dann auch gerne mit ihr unterhalten«, sagte Laurenti. »Und mit ihrem Sohn Nikolaus.«
    »Ich will sehen, was ich tun kann«, sagte die Runggaldier nach kurzem Zögern. Zum ersten Mal hatte sich ihr zuvorkommender Gesichtsausdruck einen Augenblick verdüstert.
    »Es wäre einfacher für alle und verlangte deutlich weniger Aufwand, solange die Herrschaften in der Gegend sind. Sonst müsste ich auf Kosten des Steuerzahlers nach Südtirol reisen.«
    »Das würde ich mir an Ihrer Stelle überlegen. Es ist schön dort.«
    Die Schwestern waren anders als bei der Trauerfeier für ihren Vater nicht im Trachtenlook gekleidet. Sie baten ihn, Platz zu nehmen. Oti Runggaldier zog die Tür des Konferenzraums hinter sich ins Schloss.
     
    »Die Liste derer, die in den letzten fünf Jahren in Tolmezzo gesessen haben, ist beeindruckend.« Die Stimme der Ermittlerin war mädchenhaft, obgleich tiefe Falten ihr wettergegerbtes Gesicht zeichneten, und die Motorik von Ispettore capo Angela Matičetov erinnerte an eine Spinne, nie bewegte sie nur eines ihrer Gliedmaßen allein. Sie arbeitete seit zwanzig Jahren unter der Questura von Udine. Den Norden der Region kannte sie wie ihre Westentasche, oben in den Bergen hatte sie Dienst in vielen kleineren Kommissariaten geschoben und war dazu eine begeisterte Skifahrerin und Bergsteigerin. Sie war gerade eins sechzig groß, ledig und stammte aus dem Val Resia, einem achtzehn Kilometer langen Gebirgstal mit einer autochtonen slawischen Urbevölkerung. Matičetov, die Matta, die Verrückte, gerufen wurde, galt als listig, pedantisch und zäh. Verdächtige, die sie in die Mangel nahm, lernten schnell das Fürchten. »Die Strafvollzugsanstalt hat eine Kapazität für einhundertachtundvierzig Gefangene, derzeit sitzen aber zweihundertsechzig ein. Knapp die Hälfte sind Ausländer, je ein Drittel etwa Maghrebiner, Osteuropäer und Albaner. Sechsundvierzig Gefangene werden im Hochsicherheitstrakt verwahrt, achtzehn in strenger Isolierhaft. In den letzten vier Jahren hatte die Anstalt einen Durchlauf von knapp zweitausend Personen. Einhundertsiebzig Vollzugsbeamte, ein Arzt, zwei Psychologen und ein Sanitäter sind festangestellt, der Rest extern. Eine nette Gemeinschaft.« Matta wedelte mit der Liste. Sie hatte die Stimme heben müssen, um den höllischen Lärm der Flugzeugturbine zu übertönen, der sich von der Rollbahn dem Hangar näherte und bald die Mauer zu durchbrechen drohte. Dann warf sie die Papiere auf den Tisch. »Einige von ihnen hängen hier an der Wand.«
    »Wir machen eine Pause. In einer Viertelstunde sehen wir uns wieder«, rief der Ermittlungsrichter und befahl seinem Assistenten nachzusehen, weshalb ausgerechnet vor der Einsatzzentrale ein solcher Lärm veranstaltet wurde.
    Einige der Raucher gingen hinaus, um in der von Abgasen geschwängerten Luft endlich ihren Nikotinpegel aufzufrischen. Seit eineinhalb Stunden trugen sie das Material der verschiedenen Ermittlungsgruppen zusammen und diskutierten die resultierenden Hypothesen und Maßnahmen. Malannino hatten sie es zu verdanken, dass der fünfzehn Meter hohe Hangar nikotinfrei blieb. Solange der Ermittlungsrichter anwesend war.
    Eine Boeing 737-800 der Billigfluglinie, die Triest täglich mit London und Birmingham verband, hatte bei der Landung offensichtlich ein technisches Problem und war deshalb nicht zum Terminal eingewiesen worden. Die Passagiere befanden sich noch alle an Bord, als drei Feuerwehrautos in respektvollem Abstand hielten. Eine Treppe war an das Flugzeug gefahren worden. Die Turbine auf der Einstiegsseite kam erst zum Stillstand, als Techniker die Kraftstoffzufuhr von außen zu schließen vermochten. Dann wurde die Kabinentür geöffnet, Passagiere mit ängstlichen Gesichtern stürmten die Treppe hinunter und stiegen in den Transferbus. Andere scherten sich nicht um die Anweisungen des Bodenpersonals und liefen über den Asphalt einfach weiter zum fünfhundert Meter entfernten Terminal. Immer wieder drehten sich einige um, als versuchten sie ihre Haut zu retten, bevor das Teufelsgerät in der nächsten Sekunde als gewaltiger Feuerball in die Luft fliegen musste; so wie sie es oft genug in Fernsehfilmen gesehen hatten.
    Der dunkelblaue Transporter der Polizia Penitenziaria, mit dem normalerweise Häftlinge von der Vollzugsanstalt in andere Gefängnisse verlegt oder zum Gericht gebracht wurden, war am späten Vormittag in den Hangar gefahren, wo er in einer abgelegenen Ecke hielt. Mimmo

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