Im eigenen Schatten
Malaninno. »Er hat den Kerl da drüben festgenommen. Seiner Erfahrung nach wird er relativ rasch kooperieren. Ich knöpfe ihn mir zusammen mit Ihnen, Pennacchi, vor.«
»Ich war noch nicht fertig mit meinem Bericht.« Wieder warf Cornacchia den Kopf in den Nacken. »Demzufolge Vollständigkeit der bisherigen Erkenntnisse hilfreich ist. Wie alle wissen, war ich einer der Ersten, die am Freitag zu diesem Stab delegiert wurden. Demzufolge habe ich eine Stunde nach dem Überfall mein Kommando in Brescia verlassen, um bereits kurz nach Mittag bei der Filiale der Banca d’Italia in Vicenza einzutreffen, von wo der Goldtransport gestartet war. Meine Funktion sieht vor, dass ich bei entsprechenden Vorfällen innerhalb kürzester Zeit vor Ort bin. Demzufolge frage ich mich, weshalb der Inspektor der Transportversicherung, der aus Mailand anreisen musste und demzufolge mehr als den doppelten Weg zu machen hatte, bereits vor mir da war. Ein ehemaliger Kollege, der seinen Dienst bei der Guardia di Finanza vor fünf Jahren quittiert hat. Es liegt nichts gegen ihn vor, er hat lediglich gesagt, dass er bei der Versicherung deutlich mehr verdiene. Er sei zufällig in der Nähe gewesen. Hier sind seine Unterlagen. Triest, Venedig, Treviso, Verona, Bozen, Meran, Trient, Modena. Niemals lange an einem Ort.« Cornacchia warf den Kopf in den Nacken. »In Vicenza lag sonst nichts Auffälliges vor.«
»Hat demzufolge noch jemand etwas der Vollständigkeit halber anzufügen?« Malannino nahm die Akte entgegen. »Dann wollen wir mal hören, was uns dieser Oberdan auftischt.«
»Einen Mann, der Angst hat, verlässt man nicht. Spechtenhauser war wendig und intelligent, aber mutig war er nicht. Moser ist anders«, sagte Donna Rita mit einem kleinen Lächeln, das Laurenti nicht einordnen konnte. War es zynisch oder zärtlich, voller Mitleid, oder schien ihr die Frage lächerlich, die er ihr am Ende gestellt hatte?
Das Gespräch mit den Zwillingen zuvor war äußerst sachlich verlaufen. Trotz ihrer jungen Jahre waren beide gestandene Managerinnen, deren Augen fest auf den Commissario gerichtet blieben, als führten sie Geschäftsverhandlungen. Kein einziges Mal tauschten sie Blicke untereinander aus, bevor sie seine Fragen beantworteten. Den Vorabend des Flugzeugabsturzes hatten sie separat, aber mit Freunden verbracht, deren Namen sie nannten, ohne dass Laurenti sie dazu auffordern musste. Gertraud hatte Gäste zu Hause gehabt, Magdalena war zu einer Vorbesichtigung der Biennale in Venedig eingeladen gewesen und nach dem Abendessen erst nach Mitternacht zurückgefahren. In die Geschäftsleitung waren sie mit ihrem dreißigsten Lebensjahr vorgerückt; ab diesem Zeitpunkt hatte ihr Vater sich konsequent aus dem Alltagsgeschäft zurückgezogen und sich nur noch um Projekte gekümmert, die ihm besonders am Herzen lagen. Darunter auch die Beteiligung an der Goldschmiede, in deren Einzelheiten er die Zwillinge nicht eingeweiht habe. Und natürlich habe er sich stets mit großer Fürsorge um jeden gekümmert, der Rat brauchte oder dessen wirtschaftliche Probleme ihn in Zwangslagen gebracht hätten, die der alte Spechtenhauser auch dann gelöst habe, wenn die Banken sich zierten.
»Ihr Vater hat also Kredite vergeben?«, fragte Laurenti.
Gertrauds Augen blitzten überlegen. »Er war kein Wucherer, lieber Commissario. Wenn sie seine Verträge sähen, würden Sie den Kopf schütteln. Nicht einmal Zinsen hat er von den Debitoren verlangt, ein einfacher Schuldschein genügte ihm.«
»Natürlich hat Papa die Immobilien so besichern lassen, dass sie nicht in eine eventuelle Konkursmasse fielen. Irgendeine Garantie musste er ja haben. Übers Ohr hauen lassen wollte er sich selbstverständlich nicht.« Magdalena Spechtenhauser tippte mit dem Kugelschreiber auf die Platte des Konferenztisches. »Er war durchaus berechnend, aber kein Kredithai. Und er war rechtlich stets auf der sicheren Seite. Bei jedem Abschluss hat Avvocato Galimberti ihn beraten. Die wirtschaftliche Seite hat unser Vater selbst betrieben.«
»Gab es nie Zahlungsausfälle?«
»Er hat nie Verlust gemacht.«
»Und so ist Ihr Papa also zu seinem Grundbesitz gekommen?«
»Die Regeln sind so eindeutig wie bei klarer Sicht der Kamm der Dolomiten, Commissario. Und die sieht man von der Adria genauso gut wie von Südtirol aus. Im Grunde war er ein einfacher, pragmatischer Mensch mit einem guten Riecher, wie die meisten, die aus seiner Gegend stammen. Wer sich an ihn wandte, hatte
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