Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
Seitdem waren seine Kinder und Enkelkinder nicht mehr hier.«
    Ich zittere. Kommt das vom Wind?
    Andy hebt den Arm und zeigt nach vorne. »Da ist sie«, flüstert er. »Direkt vor uns, die Insel in der Mitte.«
    Aus dem Dunkel vor uns taucht die Einsiedlerinsel auf.
    Zuerst ist sie kaum zu erkennen, weil sie im Schatten der anderen Stillman-Inseln liegt. Doch als wir näher kommen, sehe ich das etwa hundert Yard lange, mit Pinien bewachsene Ufer. Als wir noch näher dran sind, fällt das Licht unserer Bootslampe auf einen geisterhaften,wackeligen Steg, dessen Ende zusammengebrochen und im Wasser versunken ist. Rechts ist ein Stückchen Sandstrand, auf dem ein verwittertes Schild steht:
    PRIVATEIGENTUM!
    BETRETEN VERBOTEN!
    »Bist du sicher, dass wir hier rauf dürfen?«
    »Wegen dem Schild, meinst du?« Andy kichert. »Glaubst du, hier ist jemand, der das kontrolliert?«
    Was meine Frage nicht wirklich beantwortet.
    Andy lenkt das Boot an den Steg. »Wenn du Stillmans Geist siehst, musst du laut schreien«, albert Marty. »Wahrscheinlich schwappen in seinem kaputten Schädel ein paar Hirnfetzen und vielleicht noch ein Augapfel rum.«
    Wir vertäuen das Boot und schleppen unsere Sachen über den wackeligen Steg an den Strand. Ein paar Minuten später steht unser Zelt, Andy und Marty haben ihre Flaschen aufgemacht und wir lassen uns vom Feuer wärmen.
    Wir sind nicht die Ersten, die auf dieser angeblich verlassenen Insel Party machen. Der Wind hat leere Bierdosen und Plastikverpackungen ins Gestrüpp hinter dem schmalen Strand geweht. Im gelben Gras hängt sogar ein gebrauchtes Kondom. Aber heute Nacht sind wir die Einzigen, die hier zelten.
    Andy sieht, wie ich mich umgucke. »Nicht schlecht, was?«
    Ich lächele. »Nicht schlecht.«
    »Kleine, harmlose Lügen«, zwinkert Marty, »ver schönern das Leben.«
    Es ist so spät, dass mir die Augenhöhlen wehtun.
    Andy und ich sitzen angezogen vor dem Zelt auf unseren Schlafsäcken. Wir hatten die Wahl zwischen Flucht oder Tod. Denn kaum war Marty weggeknackt, nahmen seine Gasangriffe ungeheuerliche Ausmaße an. Die globale Erwärmung ist gar nichts dagegen. Martys Backen können so kräftig flattern, dass sein Arsch einen Windbrand bekommen müsste.
    Das Feuer ist runtergebrannt. Ich lege ein paar Scheite nach. Andy ist betrunken, aber seit er gekotzt hat, ist er etwas klarer. Trotzdem labert er unentwegt von dieser Braut aus der Oberstufe der Meadowvale-Schule, die ich überhaupt nicht kenne. In so einer Situation ist es blöd, dass ich nicht trinke: Wäre ich auch betrunken, würde ich Andy bestimmt nicht so doof und langweilig finden.
    »Am besten, ich schmink mir Sarah ab«, sagt er und starrt in die Glut. »Das wird eh nichts.« Ich überlege, ob er mir jetzt von seinen Eltern erzählen wird. Aber er sagt nur: »Ich sollte Einsiedler werden.«
    »Genau. Und mit der rechten Hand glücklich sein bis ans Ende deiner Tage.«
    »Nein, wirklich«, sagt Andy ernsthaft. »Ich suche mir eine Insel wie diese, mit einer kleinen Hütte. Ich fange Fische, esse Beeren, jage Eichhörnchen.« Sein Kopf kippt auf die Brust. »Die Hütte hast du noch nicht gesehen, oder?«
    »Nein.«
    »Echt, die ist perfekt. Perr. Fekkt. Musst du sehen.«
    »Mach ich«, sage ich. »Gleich morgen früh.«
    »Nein«, sagt er, plötzlich hellwach. »Jetzt.«
    »Es ist zu dunkel.«
    »Wir haben Taschenlampen.« Andy winkt triumphierend mit seiner Lampe und richtet sich torkelnd auf.
    »Na toll, wir haben Taschenlampen.« Ich bleibe sitzen. »Aber lass uns trotzdem bis morgen warten. Marty wird bestimmt mitwollen.«
    Andy schüttelt den Kopf. »Vergiss Marty. Der hat sie schon gesehen. Ich will jetzt dahin.«
    »Du bist betrunken.«
    »Und du bist ein Genie.« Er stößt einen Schrei aus und hoppelt auf die Pinien zu. »Wer als Erster bei der Hütte ist!«
    »Andy, mach keinen Scheiß!«
    Der Schein seiner Lampe tanzt zwischen den Bäumen davon. Andy stolpert durchs Unterholz, ich höre trockene Äste knacken. Dann verlieren sich die Geräusche in der Nacht.
    Ich krieche in meinen Schlafsack und denke, Andy wird jeden Moment zurückkommen. Aber das tut er nicht. Wenn er nun gestolpert und mit dem Kopf an einen Stein geknallt ist? Oder er ist von einer Klippe gestürzt und treibt nun ohnmächtig im Wasser und ertrinkt? Wenn ich hier liegen bleibe und er stirbt, ist das meine Schuld.
    Andy, du Idiot.
    Ich nehme meine Taschenlampe und gehe ihm hinterher in den Wald. Es ist ja keine große Insel, also kann

Weitere Kostenlose Bücher