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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erfahren. Meine Eltern haben mir beigebracht, dass ich immer jemandem Bescheid sage, wenn ich irgendwohin gehe. Das habe ich diesmal nicht getan. Wir haben nicht mal einen Zettel im Ferienhaus hinterlassen. Dumm. Saudumm.
    Vom Strand her brüllt Marty: »Andy! Sammy! Wo seid ihr?«
    Wir gehen zwischen den Pinien hindurch zum Strand. Marty steht unten am Wasser und schifft. Er dreht sich um, sieht den Einsiedler und platscht auf den Hintern.
    »Wirf mir eure Rucksäcke zu«, sagt der Einsiedler. »Einen nach dem anderen.«
    Also will er uns erst ausrauben und dann töten. Und wenn wir ihn überwältigen? Niemals. Andy und Marty sind zu besoffen. Und mich alleine macht der spielend alle.
    Der Einsiedler klemmt sich die Flinte unter den Arm und kniet sich neben unsere Rucksäcke. Er kramt unsere Pässe raus, zieht einen Block und einen Stift aus seiner Jackentasche und schreibt. Dann steht er auf und guckt uns an.
    »Ihr befindet euch auf dem Privatgrundstück der Familie Stillman«, sagt er. »Ich bin der Wachmann der Familie Stillman. Erst sind nur alle paar Monate solche Vögel wie ihr zum Feiern hierhergekommen. Aber seitdiesem Sommer passiert das zweimal pro Woche. Aber damit ist jetzt Schluss. Schlaft euren Rausch aus und verschwindet. Falls ihr nach acht Uhr früh noch hier seid, rufe ich die Küstenwache und die Polizei.« Er wedelt mit der Flinte. »Beim nächsten Mal bin ich vielleicht nicht mehr so freundlich. Ihr begeht Hausfriedensbruch. Ich bin im Recht. Verstanden?«
    Wir nicken.
    »Dann Gute Nacht.« Er verschwindet im Wald.
     
    Als der Morgen dämmert, haben wir alles gepackt.
    Normalerweise ist Andy morgens ein Energiebündel. Heute nicht. Er sitzt mit gesenktem Kopf auf dem Steg und wirkt, als hätte er ein riesiges BITTE NICHT STÖREN Schild umhängen. Ich sammle die leeren Bierdosen und den anderen Müll ein. Marty schiebt mit dem Fuß Sand über die Feuerstelle, um die Glut zu löschen.
    »Von wegen Wachmann!«, brummt Marty. »Der war doch kein Wachmann. Was macht ein Wachmann in einer Einsiedlerhütte?«
    »Wer sagt denn, dass er in der Hütte wohnt?«, widerspreche ich. »Kann doch sein, er hat unser Feuer von einem der Gästehäuser auf einer anderen Insel gesehen und ist dann mit einem Boot rübergekommen, um uns zu überraschen.«
    Marty schnieft. »Ich sage, er ist nichts weiter als ein dreckiger Penner. Wir sollten ihn anzeigen, wenn wir zurück sind.«
    »Weswegen? Weil er uns auf einem Privatgrundstück erwischt hat?«
    »Na klar. Warum sollte er auf die Insel dürfen und wir nicht?«
    »Vielleicht weil er ein Gewehr hat?«
    »Und wieso darf er das? Wieso darf irgendein Irrer unschuldige Camper terrorisieren?« Marty macht eine Pause und legt die Hände auf die Knie. »Ich sag euch, wir rufen die Bullen an und melden den Kerl. Anonym.«
    »Du denkst, der kriegt nicht raus, wer das war? Er hat unsere Namen und unsere Adressen.«
    Marty wirft mir einen scharfen Blick zu. »Du bist ein Feigling.«
    »Ich?« Ich lache. »Als wir aus dem Wald kamen, bist du ganz schön geschrumpft.«
    »Hast du mir etwa auf den Schwanz geguckt?«
    »Weiß nicht. Für ’n Schwanz war’s ein bisschen klein. Sogar für deinen.«
    Marty kickt mit dem Fuß Sand in meine Richtung.
    Ich tanze im Kreis um ihn herum. »Vielleicht habe ich eine Schnecke gesehen? Einen Moskitostich?«
    »Hey.« Andy ist aufgestanden und will losfahren. Marty schleppt sich missmutig zum Boot. Ich folge ihm.
    Die Fahrt zum Ferienhaus verläuft still. Andy fährt langsam, seine Haut ist grau wie der Himmel. Marty nickt neben ihm ein. Ich denke über fremde Menschen an fremden Orten nach, über das, was letzte Nacht geschehen ist, und über das, was hätte geschehen können.
    An Land packen wir die Angelruten zurück in den Schirmständer, das übrig gebliebene Essen in den Gefrierschrank,Kühlbox und Zelt in die Garage. Marty und ich wollen die Schlafsäcke holen. Andy geht zu dem Chevy, dem Uraltauto, das seine Eltern zum Einkaufen oder für Kinobesuche in der Stadt benutzen. Ich lasse Marty alleine und schaue zu, wie Andy sich auf die gewölbte Rückbank fallen lässt, in seiner ganzen Länge. Den Körper hat er wie ein Akkordeon zusammengefaltet, das Gesicht in den Händen geborgen.
    »Andy?«, sage ich leise.
    Er blickt erschrocken auf. Mit einem total hoffnungslosen Ausdruck im Gesicht. Seine Augen sind ganz rot.
    »Früher konnte ich hier drin stehen«, sagt er einfach. »Ich weiß noch genau, wie das war. Dad ist gefahren, Mom hat

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