Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
ich mich nicht verlaufen oder einem Bären begegnen oder einem durchgeknallten Einsiedler mit einer Kettensäge. Oder etwa doch?
    Mir selber Angst einjagen konnte ich schon immergut. Jetzt brauche ich mir nicht mal Mühe zu geben. Wenn ich direkt nach oben gucke, sehe ich den einen oder anderen Stern, aber bis runter in den Wald dringt kein Licht. Es ist stockdunkel, abgesehen vom Schein meiner Taschenlampe. Ich sehe umgestürzte Bäume, deren Wurzeln sich nach oben recken. Die Stämme sind verfault und mit einer dicken Schicht Moos und Piniennadeln bedeckt.
    Rechts von mir meine ich, eine Gestalt zu sehen. Ich schwenke meine Lampe dorthin. Nichts. Nur ein unheimlicher Schatten. Überall sind Schatten.
    Ich bewege mich langsam. Die Piniennadeln auf dem Boden verbergen alle Unebenheiten. Ein falscher Tritt und der Knöchel ist verstaucht. Verrückt von Andy, einfach loszurennen.
    »Andy?«
    Stille.
    Eigentlich müsste ich das Licht seiner Lampe sehen, aber da ist nichts. Kein Grund zur Sorge, denn er wird sie abgeschaltet haben. Ich wette, er versteckt sich hinter einem Baum und wartet darauf, dass er vorspringen und mich erschrecken kann.
    Mein Fuß bleibt an etwas hängen. Ich stolpere, falle mit dem Gesicht nach vorne auf den Boden, mein linkes Bein bleibt in einem Stück Stacheldraht hängen. Meine Jeans sind eingerissen, aber sonst ist mir nichts weiter passiert. Im Licht der Taschenlampe sehe ich rechts und links von mir Holzpfähle. An manchen Stellen ist noch Zaun dazwischen, an anderen nicht. War der Zaun zum Schutz? Oder zum Einsperren?
    Ich stehe auf und wische mir den Dreck ab. »Andy?«Ich leuchte mit der Lampe in alle Richtungen. Vor mir ist eine Lichtung. Auf Zehenspitzen pirsche ich näher.
    Ich stehe auf einer Müllkippe. Das muss die sein, von der Marty erzählt hat, die neben der Hütte des Einsiedlers. Jede Menge grüne Plastiktüten, ordentlich gebündelte und verschnürte Stapel mit Zeitungen und Zeitschriften, die Ränder verschimmelt. Ein rostiger Kinderwagen. Kaputte Radios und Fernseher. Alte Cola-Kisten. Und mittendrin die Hütte, zusammengestoppelt aus Brettern, Sperrholz und Dachpappe.
    »Andy?« Ich gehe langsam vorwärts. »Andy, ich weiß, dass du dich versteckst. Komm raus!«
    Nichts.
    »Andy, das ist nicht komisch.«
    Vor dem Eingang zur Hütte hängt eine windschiefe, zerfetzte Fliegentür, die Farbe am Rahmen blättert ab. Ich leuchte in das schwarze Loch hinein. In der Ecke sehe ich Andy hocken, neben ein paar alten Farbdosen.
    »Hab dich!«, rufe ich.
    Andy rührt sich nicht. Er hat die Augen weit aufgerissen. Er starrt auf etwas hinter mir.
    »Andy?«
    Von hinten fällt ein Lichtstrahl auf meinen Rücken und wirft meinen Schatten an die Wand der Hütte. »Lass die Lampe fallen, Junge«, sagt eine tiefe Stimme. »Und dreh dich langsam um, damit ich dich sehen kann.«
    Ich gehorche. Vor mir ragt die klobige Gestalt eines Fremden auf. Der Mann trägt einen Bergarbeiterhelm. Ich blinzele in den Schein seiner Lampe.
    Auf meinen Kopf zielt eine Zwölf-Kaliber-Schrotflinte.

10
    Der Mann mit der Schrotflinte ist vielleicht sechzig. Er trägt ein dreckiges, kariertes Jackett, eine noch dreckigere Latzhose und Stiefel. Am Gürtel steckt ein Jagdmesser. Der Mann hat sich seit Tagen nicht rasiert und auch nicht gewaschen, jedenfalls riecht er so.
    »Na, Jungs, feiert ihr schön?«
    Allein auf einer verlassenen Insel mit einem bewaffneten Irren. Na super.
    »Hab ’ne Frage gestellt«, sagt der Einsiedler. »Meint ihr, das hier ist ’ne Partymeile?«
    »Nein, Sir«, flüstere ich.
    »Da hast du verdammt recht. Am Ufer steht ein Schild:
Betreten verboten
. Könnt ihr nicht lesen?«
    »Entschuldigung.«
    »Entschuldigung? Das sagen sie alle.«
    Sie? Wer sind denn
sie
? Wo sind
sie
jetzt?
    »Seid ihr zwei alleine?«
    »Ja, Sir.«
    »Lüg mich nicht an, Junge. In eurem Zelt liegt ein bewusstloser Fettwanst.«
    »Ich meine hier, da sind nur wir beide«, erkläre ich. Wie lange hat der uns schon beobachtet?
    »Wir wollten bloß ein bisschen feiern«, platzt Andy raus. »Bitte lassen Sie uns gehen. Wir sagen niemandem, dass Sie hier sind.«
    »Hältst du mich für blöd?«
    »Im Ernst. Wir sagen niemandem was. Und wir kommen nie wieder.«
    »Da kannst du Gift drauf nehmen«, spuckt der Einsiedler. »Los, hoch mit dir.«
    Mit erhobenen Händen müssen wir vor ihm durch den Wald laufen. Jeden Moment wird er uns umbringen und unsere Leichen in einen fauligen Baumstamm stopfen. Niemand würde je davon

Weitere Kostenlose Bücher