Im Fadenkreuz der Angst
Klettverschlüsse, sie ist das Schweizer Messer der Khaki-Hosen. Den Schraubenschlüssel schiebt er in die Wadentasche, das Montiereisen legt er unter den Fahrersitz. Ich tue so, als würde ich es nicht sehen.
Wir schließen die Hütte ab und gehen noch mal zum Steg, um uns zu versichern, dass die Catalina gut vertäut ist. Ich werfe einen letzten Blick auf die Hütte am Ufer. Ob wir sie jemals wiedersehen?
»Sammy, beweg deinen Arsch!«, ruft Andy.
Und schon sind wir unterwegs.
29
Wir fahren auf der 401 nach Toronto. Die mehrspurige Straße ist voll mit Lastwagen, aber wir kommen schnell voran. Trotzdem gucke ich alle paar Minuten auf die Uhr. Beruhige mich mit Gebeten.
»Pickering«, liest Andy auf einem Straßenschild. »Wir sind bald da. Rechts müsste ein Atomkraftwerk kommen.« Ich schaue rüber auf das Gelände zwischen der Straße und dem See dahinter. Eine gute Zielscheibefür Angriffe aus der Luft. »Ich hab euch eine verrückte Geschichte dazu ausgedruckt.«
Die verrückte Geschichte stammt aus einem Zeitungsbericht, den auch Mr Bhanjee neulich bei seinen aufmunternden Worten erwähnt hat: Kurz nach dem 11. September hat die kanadische Bundespolizei zweiundzwanzig Pakistanis und einen Südinder wegen Terrorismusverdachts festgenommen. Einige der Männer hatten abgelaufene Studentenvisa und besuchten so eine Art Koranschule. Verdächtigt wurden sie, weil sie Flugübungen über einem Atomkraftwerk machten. Die Polizeiaktion hieß Project Thread,
Projekt Faden
, aber der Faden war schnell abgewickelt. Es stellte sich nämlich raus, dass alle Flugschulen in der Gegend bei den Flugstunden dieselbe Route flogen. Und wieso flogen sie ausgerechnet über das Atomkraftwerk? Weil man von dort eine schöne Aussicht auf den See hatte. Ehrlich! So was kann man sich nicht ausdenken, oder?
»Die Behörden mussten zugeben, dass sie keinerlei Beweise hatten«, hat Mr Bhanjee gesagt. »Die Männer wurden freigelassen, bevor es überhaupt zu einem Verfahren kam. Die Moral der Geschichte: Behörden machen Fehler. Wer unschuldig ist, wird freigelassen.«
Stimmt, aber wie lange mussten die Männer im Gefängnis sitzen, obwohl sie gar nichts getan hatten? Und was kam danach? Dem Bericht zufolge wurden alle nach Pakistan deportiert, wo sie wie Kriminelle behandelt, ständig von der Polizei belästigt wurden und keinen Job fanden. Ist das ein Happy End?
Außerdem, was hat das mit Dad zu tun? Gegen diese Typen lagen keinerlei Beweise vor, es gab keine E-Mails ,Handy- oder Videoaufzeichnungen. Und bloß weil die Behörden einmal danebengegriffen haben, muss das noch lange nicht bedeuten, dass sie das immer tun. Klar, mitunter werden unschuldige Leute verhaftet, aber trotzdem ist nicht jeder, der verhaftet wird, unschuldig. Nein, so will ich nicht denken.
»Toronto«, ruft Andy. »Wir sind da. Guckt nach dem Don Valley Parkway.«
Kaum haben wir die Ausfahrt gefunden, werden wir Richtung Stadtzentrum geleitet. Die Straße schlängelt sich durch Wald, Parks, Hügel und Schluchten. Rechts von uns, noch ein ganzes Stück entfernt, ragt der CN Tower über die Stadt. Laut Google wohnt Hasan nicht weit von hier, das Viertel heißt Indischer Bazar.
Wir schieben uns gemeinsam mit anderen Autos auf eine dicht befahrene Abfahrt. Eine scharfe Kurve und dann fädeln wir uns in den Verkehr einer Straße, die einen steilen Hügel hinaufführt. Als wir oben sind, wirft Andy einen Blick auf die Karte und biegt in die Greenwood Avenue ein. Bald kommen wir an eine große Kreuzung.
Ein paar Hundert Meter weiter sehe ich Frauen mit Kopftüchern und islamisch gekleidete Männer, die sich vor einem unscheinbaren Gebäude versammeln. Eine Moschee, nehme ich an, Zeit fürs Mittagsgebet.
»Wir müssen gleich da sein«, sagt Andy. Er packt das Lenkrad fester. Wir fahren einen Hügel runter, rechts von uns eine riesige Gleisanlage, links Wohnhäuser mit Vorgärten. Wir durchqueren eine Unterführung und passieren einen Block runtergekommener Gebäude.
Da – die Gerrard Street. An der Ecke ein Pizzaladen.Gegenüber ein Mini-Markt mit einem kleinen Parkplatz davor.
»Fahr da rauf«, sage ich. »Wir rufen bei Hasan an und gucken, ob jemand da ist.«
»Gute Idee. Wenn überhaupt jemand ans Telefon geht«, sagt Andy. »Aber nimm nicht dein Handy. Da drüben ist ein öffentliches Telefon. Wir gehen rüber und holen Pizza.«
»Ohne Schinken, ohne Wurst«, sage ich.
»Hä?«
»Das ist haram.«
»Haram?« Andy guckt mich erstaunt an. »Wie das
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