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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Polizei, sobald du sein Versteck verlassen hast.«
    »Klar.«
    »Klar, klar«, sagt Marty. Seine Wangen sind voller roter Flecken.
    Andy klopft Marty auf die Schulter. »Wer weiß, Marty, wenn wir Hasan finden, kriegen wir vielleichteine Belohnung. Eis so viel du willst, das ganze Leben lang Eiscreme. Aber denk dran, nimm eine frische Unterhose mit, falls was schiefgeht.«
    Jetzt läuft Marty total rot an. »Ha ha. Also, wann treffen wir uns?«
    »Ich hol dich um halb sechs ab«, sagt Andy.
    »Früh?«
    »Was denkst denn du, abends? Natürlich früh. Das nennt man Überraschungsmoment. Wir wollen doch nicht, dass uns jemand folgt, also zick jetzt nicht rum. Sobald ich vor eurer Tür stehe, steigst du ein und los geht’s.«
    Wir stellen unsere Uhren synchron.
    Andy dreht sich zu mir um. »Sammy, geh nicht vorne raus, falls jemand euer Haus beobachtet. Wenn du meinen Wagen hörst, geh hinten durch die Hecke über den Golfplatz. Wir holen dich beim zwölften Loch ab, am kleinen Park am Braddock Ring, fünf nach halb sechs. Klar?«
    »Klar.«

28
    Zu Hause finde ich auf dem Küchentisch einen Zettel: »Ich habe Migräne und liege im Bett. Bitte lass mich schlafen. Im Kühlschrank sind gefüllte Paprikaschoten. Alles Liebe, Mom.«
    Das kleine Lämpchen am Telefon leuchtet. ZweiNachrichten. Die erste ist von Mr McGregor: »Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, bla, bla, bla, die Rückerstattung des Schulgeldes ist nicht möglich.« Ich drücke auf LÖSCHEN.
    Die zweite ist von Moms Kollegin aus der Apotheke: »Neda, hier ist Deb. Nimm’s nicht so schwer. Du weißt doch, wie die Leute sind. Ich bin sicher, Frank stellt dich wieder ein, sobald sich die Aufregung ein bisschen gelegt hat. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.«
    Frank stellt dich wieder ein?
Ich höre die Nachricht noch einmal ab. Ich habe richtig gehört. Mom hat ihren Job verloren.
    Ich reiße die Kühlschranktür auf, richtig wütend, aber bevor ich mir was rausnehmen kann, wird mir schwindelig. Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und beuge den Kopf runter. Mom hat keine Arbeit, Dad ist im Gefängnis. Woher sollen wir Geld bekommen? Wie sollen wir Dads Anwalt bezahlen? Werden wir das Haus verkaufen müssen? Werden wir auf der Straße landen?
    Ich presse die Hände an meinen Hinterkopf. »Alles wird wieder gut. Alles wird wieder gut.« Ach ja?
    Ich lasse das Abendessen aus und gehe ins Bett. Morgen muss ich ausgeschlafen sein. Ich muss Dads Namen reinwaschen. Es geht nicht nur um ihn. Sondern auch um Mom und mich. Unser Leben hängt davon ab.
    Irgendwann nach Mitternacht schlafe ich endlich ein. Um vier wache ich schweißgebadet auf. Zum ersten Mal, seit ich denken kann, verspüre ich das Bedürfnis zu beten. Ich wasche mir Hände, Gesicht und Füße in der Waschschüssel. Lege als Gebetsteppich ein Laken auf den Fußboden. Drehe mich Richtung Mekkaund beuge mich vor, knie und werfe mich zu Boden, bitte auf Arabisch um Gottes Segen.
    Die erste Sure des Korans habe ich schon so oft gebetet, dass ich längst nicht mehr auf den Text achte. Aber jetzt im Dunkel vor dem Morgengrauen, bin ich mir jedes einzelnen Wortes bewusst. Jede Silbe verbindet mich mit einer Macht, die größer ist als ich, verbindet mich mit einem Universum anderer Menschen, die dieselben Worte beten. Meine Stirn kribbelt. Ich bin nicht allein. Ich habe keine Angst. Ich werde Dad retten, unsere Familie, inschallah.
     
    Halb sechs. Totenstill. Ich habe Unterwäsche, ein Hemd, Socken und meine Zahnbürste in den Rucksack gepackt. Ich lege Mom einen Zettel neben die Kaffeemaschine:
    »Hoffe, deine Migräne ist besser. Bin mit Andy und Marty unterwegs. Konnte dich nicht um Erlaubnis fragen, weil du geschlafen hast. Wenn ich heute Abend nicht zurück bin, mach dir keine Sorgen, ich melde mich. Es ist alles in Ordnung. Hab dich lieb, Sami.« Das mit dem »um Erlaubnis fragen« ist mir ein bisschen unangenehm. Es ist zwar nicht gelogen, aber ich hätte sie auch nicht um Erlaubnis gebeten, wenn sie wach gewesen wäre.
    Ich höre Andys Auto.
    Ich schnappe mir den Rucksack, flitze durch den Garten und winde mich durch die Hecke auf den Golfplatz. Der Mond scheint nicht. Meine schwarzen Jeans und mein schwarzer Hoodie machen mich nahezu unsichtbar. Trotzdem bücke ich mich und husche wie einFrettchen durch die Schatten im hohen Gras. Ich laufe im Zickzack über die Grünflächen, durch Bunker und um Wasserhindernisse herum, zu den Ulmen am zwölften Loch. Klettere über den Zaun. Rase zur

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