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Im Fadenkreuz der Angst

Im Fadenkreuz der Angst

Titel: Im Fadenkreuz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sein.
    Drrrr. Drrrrr. Drrrrrrrrrrr.
    Bitte mach, dass mich jemand reinlässt, irgendjemand. Ich stehe schon zu lange hier. Das muss doch seltsam aussehen. Warum? Ich bin ein Pizzabote. Kann doch sein, dass der, bei dem ich klingele, gerade aufdem Klo ist oder sein Geld sucht. Was soll daran seltsam sein? Nichts – abgesehen davon, dass die Pizzaschachtel leer ist. Na und? Wer soll das wissen?
    Apartment zwei reagiert. In der Gegensprechanlage knistert es, im Hintergrund ist ein Fernseher zu hören: »Hallo?«
    »Pizza-Service.«
    Knister. »Ich habe keine Pizza bestellt.« Knister.
    »Die ist für Apartment fünf.«
    Knister. »Dann klingel bei denen.« Die Anlage verstummt.
    Ich klingele noch einmal bei Apartment zwei. Drücke ewig auf den Knopf.
    Knister. »Ich habe gesagt   …«
    »Bei denen geht die Klingel nicht.«
    Stille. Ein Klicken im Türschloss. Apartment zwei lässt mich rein.
    Die Wände des Treppenhauses sind in einem schmutzigen Senfgelb gestrichen. Es riecht nach gebratenem Fisch. Wenn Mom hier wäre, würde sie sofort ihr Desinfektionsspray aus der Tasche ziehen. Ich fasse das Geländer nicht an. Von außen fällt kein Licht herein, aber oben im Flur leuchten Neonlampen, sodass ich etwas sehen kann.
    Apartment zwei guckt sehr laut fern und interessiert sich nicht für mich. Ich gehe den Flur lang bis zu Hasans Wohnung und hole den Zettel aus meiner Tasche. Ich habe geschrieben: »SABIRIS SOHN WILL DEINEN FREUND TREFFEN.   BÜCHEREI, REISE-ABTEILUNG.   KEINE SPIELCHEN.« Der letzte Satz war Andys Idee, damit es härter klingt. Jedenfalls stehtda nichts, was mich belasten könnte. Zumindest denke ich das.
    Ich schiebe den Zettel unter der Tür hin und her, bevor ich ihn loslasse. Jemand, der die Wohnung abhört, wird denken, dass da einer seine Füße abtritt. Aber wer in der Wohnung ist, muss das Rascheln erkennen.
    Plötzliche Panik. Wenn nun Apartment zwei misstrauisch wird, weil ich bei Apartment fünf keine Pizza abgegeben habe? Kein Ding. Ich gehe zu Apartment fünf. Ich weiß ja, dass niemand zu Hause ist, hab ja eben sturmgeklingelt, also klopfe ich kräftig. »Pizza!«
    Ich habe mir im Kopf alles zurechtgelegt: Guten Tag, Sir, danke fürs Trinkgeld, übrigens, Ihre Klingel geht nicht. Aber bevor ich ein Wort rausbekomme, fliegt die Tür auf. Vor mir steht ein dicker, verschwitzter Mann mit einem Handtuch um die Hüfte. Mann, ist der wütend. Im Hintergrund sehe ich eine Frau im Morgenmantel.
    »Bist du das Arschloch, das andauernd geklingelt hat?«, brüllt der verschwitzte Kerl.
    »Äh, nein.«
    Ich rase den Flur lang, schmeiße die Pizzaschachtel in den Treppenschacht und rette mich auf die Straße. Der Schwitzeonkel wird mir ja wohl nicht mit einem Handtuch um den Bauch hinterherrennen? Zur Tarnung gehe ich bis zur nächsten Straße, dann mache ich einen Bogen und kehre zur Bücherei zurück.
    »Was ist passiert?«
    »Frag nicht.«
    »Als du aus dem Haus gerannt kamst, habe ichgesehen, wie sich ein Vorhang bewegt hat«, erzählt Marty. »Jemand hat dir nachgeguckt.«
    »Hoffentlich war das Hasans Freundin«, sage ich. »Vielleicht wollte sie wissen, wie ich aussehe.«
    Ich gehe in die Reiseabteilung und sage den Jungs, sie sollen sich mit ein paar Büchern an den Tisch am Ende des Gangs setzen. Ich gucke durch die Regale, als würde ich eine Reise planen. Hmm. Wohin, Sami? Amsterdam? Australien? Frankreich? Deutschland? Ich ziehe den Ägyptenreiseführer von Lonely Planet raus.
    Ich bin so mit den Pyramiden beschäftigt, dass ich die Frau, die neben mir steht, erst gar nicht bemerke. Sie trägt einen grauen Rock, einen schwarzen Pullover, schwarze Nylonstrümpfe und einen Gesichtsschleier. Nur ihre Augen sind zu sehen, samt Lidschatten und Wimperntusche. Die Frau nimmt sich einen Reiseführer für Mexiko, wirft einen Blick darauf und stellt das Buch zurück ins Regal. Oben guckt ein winziges Stückchen Papier raus.
    Die Frau nimmt sich zwei andere Bücher und geht zur Ausleihe. Ich warte, bis sie weg ist, dann nehme ich alle fünf Bände über Mexiko mit an den Tisch. Mit dem Rücken zur Ausleihe ziehe ich den Zettel aus dem Reiseführer. Darauf steht:
     
    KREUZUNG YONGE UND BLOOR,
    NORDOSTECKE, FÜNF UHR.
     
    Fünf Uhr. Noch zwei Stunden.
    Mein Herz macht einen Satz. »Wie kommen wir dahin?«
    »Keine Panik, Blödmann«, sagt Andy. »Ich habe doch ’ne Karte mit.«
    »Jetzt wird’s ernst«, flüstert Marty.
    »Klar, aber das ist doch easy.« Ich versuche so zu tun, als würde ich

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