Im Fadenkreuz der Angst
hätte er in seinem Arbeitszimmer gehabt. Und die Sachen sind alle beim FBI.«
»Genau. Und die sind geheim. Unter Verschluss. Durch die Fotos und Videos von mir und der sogenannten Bruderschaft bin ich längst verurteilt. Wenn sie mir keinen Bioanschlag anhängen können, dann finden sie was anderes. Da komme ich nie raus. Und alles bloß wegen diesem verdammten Erim Malik.«
Tariq springt auf und haut mit den Fäusten auf denTisch. Eins der Tischbeine knickt ein. Ich rette die Teekanne, aber alles andere fliegt runter.
Tariq lehnt sich an die Spüle. Offenbar wollen seine Freunde zu ihm, aber er winkt ab. »Bleibt, wo ihr seid, Sami soll euch nicht sehen. Ihr habt schon genug riskiert.« Er lässt sich auf den Boden sinken, drückt die Ellbogen an die Knie, verschlingt die Hände über dem Kopf. Er atmet hastig.
Ich weiß nicht, was man in so einer Situation tut. Also setze ich mich einfach im Schneidersitz vor ihn hin. Tariq beruhigt sich, er atmet immer noch heftig, aber kontrolliert.
»Wir waren einfach ein paar Jungs«, sagt er, »die meisten von uns arbeitslos oder in irgendwelchen Umschulungsmaßnahmen. Ein paar besaßen klapprige Autos. Nur drei oder vier hatten eine Freundin. Manchmal haben wir uns zum Morgengebet in der Moschee getroffen und sind dann aufs Land gefahren zum Paintballspielen, haben Militärklamotten angezogen und Blödsinn gemacht. Wir waren einfach ein paar verpeilte Typen, weiter nichts.«
Er wischt sich mit dem Handgelenk über die Augen. »Jedenfalls, mein Kumpel Abdul Malik, der hatte einen Cousin, Erim. Erim hat voll die Sprüche geklopft – Scharia hier, Scharia da – aber ich wusste, dass er gekokst hat, dass er ein paar Kids abgezogen hat, außerdem gab es Gerüchte, dass er im Copyshop von seinem Onkel Pässe fälschen würde. Aber er war nun mal Abduls Cousin, also ließen wir ihn mitmachen. Wir konnten nicht Nein sagen.«
Ich gucke auf den Boden, mir ist ein bisschen mulmig.Ich weiß, wie das ist, wenn man Angst hat, Nein zu sagen. Wenn ich nun Tariq gewesen wäre?
Tariq fährt fort. »Einmal sind wir raus auf ein Feld gefahren, haben Paintball gespielt und hinterher ein paar Bier getrunken. Klar, man soll keinen Alkohol trinken, aber wir haben es getan. Erim hat uns mit seinem Handy gefilmt und dabei rumgestichelt, dass wir immer bloß jammern würden. ›Ja, ja, ihr seid alle Märtyrer«, hat er gesagt. »Eine Bruderschaft von Märtyrern.‹ Und ich habe gesagt: ›Genau. Wir sind eine Bruderschaft von Märtyrern.‹ Und dann haben wir alle gelacht: ›Supername‹, und haben rumgealbert, dass wir uns T-Shirts machen lassen würden und so was. Bloß – das wurde nicht im Fernsehen gezeigt. Stimmt’s?«
Ich nicke.
»Also, auf einmal zieht Erim eine Knarre aus der Tasche und wir so: ›Ey, Erim, hör auf, wir sind hier in Kanada.‹ Aber er stellt ein paar leere Bierflaschen auf und sagt: ›Schießübungen sind geil, habt euch nicht so.‹ Und wir denken, na ja, wir sind hier draußen auf einem Feld, wo sonst nichts und niemand ist, vielleicht hat er ja recht, warum nicht? Und jeder von uns schießt ein- oder zweimal – wir sind lausige Schützen, das kann ich dir sagen – und Erim zeichnet das alles mit seinem Handy auf, damit wir später darüber lachen können, sagt er.«
Tariq drückt die Hände auf die Knie. »Das läuft ein paar Wochen lang so, Erim macht lauter kleine Filme. Manchmal klopft er Sprüche, so nach dem Motto: ›Die Welt ist schlecht, man sollte einfach alles in die Luft jagen‹ – aber nicht wirklich, nur so im übertragenenSinn – und wir blödeln, klar, zum Beispiel das Parlament – BUUUMM! ›Rübe ab‹, sage ich zum Spaß und mache eine Handbewegung wie dieser Typ in
Alice im Wunderland
. Das war einfach dummes Gerede, totaler Quatsch, überhaupt nicht so, wie’s im Fernsehen rüberkommt.«
Da muss ich an Eddys Videoaufnahmen denken, an all das in meinem Leben, das nach außen anders scheint als es wirklich ist, und auch an das, was ich Andy und Marty unterstellt habe – was dann gar nicht stimmte.
»Als dein Vater … unser Vater … als er sagte, er würde nach Toronto kommen«, sagt Tariq, »habe ich meinen Freunden von ihm erzählt, dass er ein wichtiger Typ ist und so. Und schon habe ich mich selber ganz wichtig gefühlt und hab das richtig aufgebauscht, das mit seinem Labor mit Sicherheitsstufe vier und so. Und ich habe gesagt, Dad wäre so wichtig, dass er jederzeit irgendwelches Giftzeug überallhin verschieben
Weitere Kostenlose Bücher