Im Fadenkreuz der Angst
Gefängnis bleiben müssen.«
Mr Bhanjee unterbricht uns. »Ich werde eine Kopie des Briefs anfertigen lassen und ihn als Beweisstück vorlegen«, sagt er und steckt das Blatt in seine Mappe. »Aber freu dich noch nicht zu früh, Sami.«
»Aber wir haben bewiesen, dass es keine Terrorzelle gibt.«
»Noch nicht ganz«, sagt Mr Bhanjee. »Wir können nur beweisen, dass Tariq der Sohn deines Vaters ist, dass das Päckchen, das in der E-Mail erwähnt wurde, etwas Privates war, und dass Erim Malik seine Freunde provoziert hat, das zu sagen, was man auf dem Video hört. Aber die Tatsache, dass dein Vater und Tariq persönliche Dinge zu regeln hatten, beweist nicht, dass sie nicht auch an einer terroristischen Verschwörung beteiligt waren. Und die Tatsache, dass Leute zu bestimmten Aussagen provoziert wurden, beweist noch lange nicht, dass sie es nicht trotzdem so gemeint haben.«
»Aber es muss doch einen Grund für eine Verschwörung geben.«
»Den gibt es«, sagt Mr Bhanjee. »Erinnern Sie sich an den Hinweis des Gerichts, dass es einen nicht identifiziertenTerroristen gibt? Es hat ja außer Ihrem Mann noch jemand versucht, von hier aus Kontakt mit der Bruderschaft aufzunehmen. Wie wahrscheinlich ist es, dass noch jemand aus unserer Stadt dieselbe Gruppe arbeitsloser Jugendlicher kennt? Oder dass dieser Mensch und dein Vater sich nicht kennen? Wenn die Verbindung harmlos ist, warum sagt dann keiner von der Bruderschaft, wer es ist? Dieser merkwürdige Zufall und das Schweigen sind verdächtig und beunruhigend.«
»Und was können wir tun?« Ich schlucke.
»Ich weiß es nicht«, sagt Mr Bhanjee. »Aber eins ist klar: Bevor dein Vater freikommt, wird die Staatsanwaltschaft die Antwort auf zwei Fragen haben wollen: Wer verbirgt sich hinter diesen mysteriösen Anrufen? Und was für eine Verbindung hat er oder sie zu deinem Vater und zur Bruderschaft?«
»Das FBI befragt Leute aus unserer Gemeinde«, sagt Mom. »Alle, von denen bekannt ist, dass sie sehr radikal sind.«
Mir schießt durch den Kopf, was Mr Bernstein jetzt sagen würde:
»Gedanken sind kein Verbrechen. Wenn sie das wären, müsste man jeden Menschen auf der Erde einsperren.«
»Ich will ja nichts sagen.« Mom zögert. »Aber kennen Sie Mr Ibrahim? Er wurde vor einiger Zeit bei der Einreise in New York durchsucht und musste sich bis auf die Haut ausziehen. Sein Name stand auf einer Liste. Vielleicht gab es doch einen Grund dafür.«
»Hör auf!«, schreie ich. »Genau so ein Gerede hat Dad ins Gefängnis gebracht.«
»Ich beschuldige ihn ja gar nicht«, sagt Mom. »Aber wir müssen Antworten auf die Fragen von Mr Bhanjee finden.«
Auf einmal habe ich das Gefühl, die Fragen und Antworten würden in meinem Kopf explodieren. Wie braut sich etwas zusammen? Wie kann aus einer Kleinigkeit plötzlich etwas Riesiges und Schreckliches werden?
Ich habe Mühe, meine Stimme zu beherrschen: »Mr Bhanjee, hat die Staatsanwaltschaft gesagt, mit welchem Mitglied der Bruderschaft der unbekannte Terrorist versucht hat, Kontakt aufzunehmen?«
»Nein«, sagt er. »Das ist geheim.«
»Ich wette, es war Tariq.«
»Wieso? Worauf willst du hinaus?« Mr Bhanjee runzelt die Stirn.
»Als Dad nach Toronto gefahren ist, habe ich gedacht, er hätte da eine Freundin. Deshalb habe ich Dad hinterherspioniert und habe Tariqs Nummer in seinem Computer gefunden. Ich habe zweimal dort angerufen, vom Kino aus. Und dann noch mal am nächsten Tag, von der Moschee aus. Außer dem FBI kann nur der, der angerufen hat, wissen, wann und von wo diese Anrufe gemacht worden sind. Und das habe ich Ihnen gerade gesagt. Schreiben Sie es sich auf, Mr Bhanjee. Geben Sie es der Staatsanwaltschaft. Sollen die es überprüfen. Der zweite sogenannte Terrorist bin ich.«
35
Die Anklage gegen Dad löst sich in nichts auf. Das FBI gibt nie bekannt, wer der »nicht identifizierte Terrorist« ist, der versucht hat, Kontakt mit der Bruderschaft aufzunehmen, teilt auch nicht mit, wann das geschehen ist oder von wo aus. Diese Informationen bleiben aus Gründen der nationalen Sicherheit geheim. Und bestimmt auch, weil sich niemand blamieren will.
Viel wichtiger ist, dass die Behörden sofort nach meiner eidesstattlichen Erklärung und einer sich daran anschließenden Befragung die Festplatte vom Computer meines Vaters und die vom Computer in der Schulbibliothek durchsuchen, um rauszufinden, wie ich an Tariqs Telefonnummer und Adresse gekommen bin. Dann überprüfen sie Ort und Zeit meiner Anrufe. Schon
Weitere Kostenlose Bücher