Im Fadenkreuz der Angst
könnte. Ich war total aufgedreht. Die Jungs haben sich für mich gefreut. Sie wussten ja, dass ich nie einen Vater hatte. Montreal ist nicht so weit weg, Leute ziehen um, es gibt Gerede. Jedenfalls, jetzt hatte ich einen Vater und der war eine richtig große Nummer.«
»Bis du alles kaputt gemacht hast.« In meinem Kopf bricht ein Damm. »Dad –
mein
Dad – ist im Knast. Meine Familie ist im Arsch. Weil du, ein Scheißfremder, unbedingt deine Scheißwurzeln suchen musstest.«
»Es tut mir leid. Tut mir leid.«
»Dir tut es leid?«, schreie ich. »Kann ja sein, dass du keine Schuld hast, aber was glaubst du wohl, wie leid mir das tut?«
Er senkt beschämt den Kopf. »Soll ich dir noch was sagen?«
»Na los!«
»Weißt du, was der größte Hammer ist? Erim Malik, der Schwätzer mit der Knarre, der Drecksack, der uns die Sprüche rausgelockt hat, der die Filme gedreht hat, der dealt und Kinder verprügelt – der ist der einzige von uns, der nicht verhaftet wurde.«
»Was?«
»Du hast richtig gehört«, sagt Tariq bitter. »Er läuft frei rum. Es heißt, er ist ein Geheimdienst-Informant. Kronzeuge der Anklage.«
Als es dämmert, binden mir Tariqs Freunde ein Tuch vor die Augen und bringen mich zur U-Bahn . Ich fahre zum Eaton Center, dem Treffpunkt, den Andy auf dem Plan markiert hat.
Sobald Andy und Marty mich sehen, stürzen sie sich auf mich.
»Um ein Haar hätten wir die Polizei angerufen«, platzen sie raus. »Wir haben so eine Scheißangst gehabt, Mann. Alles klar? Was haben sie mit dir gemacht?«
»Nichts. Alles cool.«
»Ich bin beinahe verhaftet worden, weil ich übers Drehkreuz gesprungen bin«, sagt Andy.
»Und ich habe einen riesigen blauen Fleck!«, ruft Marty.
»Als wir zurück auf der Straße waren, haben sie denChevy abgeschleppt«, stöhnt Andy. »Das hat mehr gekostet, als das Auto wert ist. Aber egal. Du bist hier! Du lebst!«
Ein paar Minuten später sitzen wir auf einer Bank neben einem Brunnen und essen Fritten.
»Andy«, sage ich. »Ich brauche dein Handy. Ich muss was erledigen.«
»Du rufst die Bullen an?«
»Nein – mit denen will ich nicht reden – jedenfalls nicht jetzt«, sage ich. »Aber ich habe meiner Mutter heute Morgen was versprochen.«
Da unser Telefon abgehört wird, würden sie erfahren, dass ich aus Toronto anrufe. Also rufe ich Mom nicht direkt an.
»Mr Bernstein?«
»Sami?«
»Ja, ich bin’s. Können Sie mir bitte einen großen Gefallen tun? Könnten Sie bitte zu meiner Mutter gehen? Unser Haus ist bestimmt verwanzt, also bitten Sie Mom nach draußen. Sagen Sie ihr, ich bin in Sicherheit, es tut mir leid, wenn sie sich Sorgen gemacht hat. Ich komme morgen Mittag nach Hause. Und sagen Sie ihr bitte, dass ich dann sofort Mr Bhanjee sprechen muss.«
34
Als wir vor unserem Haus halten, sehen wir Mom und Mr Bhanjee am Erkerfenster sitzen. Noch bevor ich einen Fuß aufs Pflaster gestellt habe, ist Mom draußen. »Wo warst du?« Aber bei der Frage bleibt es nicht. Erst umarmt sie mich so kräftig, dass ich fürchte, meine Rippen knacken durch. Dann schüttelt sie mich. Ich habe gedacht, Mr Bernsteins Besuch hätte sie beruhigt, aber die Geheimnistuerei, also das Vors-Haus-Gehen und so, das hat sie nur noch mehr aufgeregt. Ganz abgesehen davon, dass ich unseren Anwalt sprechen wollte.
»Was hast du angestellt?«
»Nichts«, sage ich. Was natürlich nicht ganz der Wahrheit entspricht, aber ich werde ganz sicher nicht hier auf dem Rasen vor unserem Haus die große Enthüllungsshowabziehen.
Wir drei setzen uns hinters Haus auf die Terrasse. Dass Dad eine Affäre hatte und der Vater von Tariq ist, erzähle ich nicht, aber alles andere schon. Dass ich Tariq getroffen habe und dass er und seine Freunde von Erim Malik, diesem elenden Dealer und Passfälscher, reingelegt wurden. Moms Knöchel sind so weiß, dass ich fürchte, die Stuhllehne, an der sie sich festhält, könnte zersplittern. Ich glaube, ich bin nicht so richtig scharf auf den Moment, wenn Mr Bhanjee geht und ich mit ihr alleine bin.
Ich bin fertig. Mr Bhanjee strahlt. »Deine Informationen über diesen Erim Malik sind Gold wert«, sagter. »Es ist bestimmt kein Zufall, dass gerade er der Hauptzeuge der Staatsanwaltschaft ist. Wenn wir noch ein bisschen graben, finden wir bestimmt heraus, dass er zugleich ihr Hauptinformant ist. Wahrscheinlich haben sie gedroht, ihn wegen der Sachen, die du erwähnt hast, zu verhaften, und er hat einen Deal rausgeholt: Wenn sie die Anklage gegen ihn fallen
Weitere Kostenlose Bücher