Im Feuer der Nacht
Raubtiere würden sie rausholen, falls sich das ganze Unternehmen als Falle herausstellte.
Halb krank vor Furcht und aufkeimender Hoffnung zugleich, wartete sie auf das Signal, dass die Luft rein war, obwohl sie am liebsten losgestürmt wäre. Sie sah sich um und erkannte ein Augenpaar, das in der Dunkelheit aufglühte. Ein Blinzeln. Los.
Die Uhr lief, sie rannte zur Tür und drückte sie auf. Sie war auf alles gefasst… nur nicht auf das, was sie sah.
Ein kleines Mädchen und Jon lagen nebeneinander auf dem schmutzigen Boden der Hütte.
Mit einem leisen Schrei fiel Talin auf die Knie und legte ihre zitternden Fingerspitzen auf die Halsschlagadern der Kinder. Beide hatten einen kräftigen Puls. Das beruhigte sie, während sie auf Clay wartete. Aber die Sekunden verrannen ohne ein Zeichen von ihm. Etwas musste schiefgegangen sein. Instinktiv wollte sie aufspringen und draußen nach Hilfe rufen.
Clay hatte unter höchster Anspannung zugesehen, wie Talin hineingegangen war. Der Wind änderte seine Richtung ein wenig und wehte Dorians Geruch zu ihm herüber… und die eines anderen. Der Leopard lauschte in den Wind, er konnte diese Witterung Dorian überlassen. Der andere Wächter war schon unterwegs.
Clay hatte keine Sekunde die Hütte aus den Augen gelassen, in der Talin gerade verschwunden war. Aber diese Konzentration machte ihn nicht blind allem anderen gegenüber– er hörte das Knacken eines Zweiges, als sich jemand seiner Gefährtin näherte. Er unterdrückte das Bedürfnis, sie sofort dort herauszuholen, und stellte die Ohren auf.
Er roch die hässlichen metallischen Ausdünstungen eines Medialen und den stechenden Geruch von Gewehrfett. Sein Raubtierverstand erfasste sofort, dass sie entweder einen Wachposten übersehen oder einen versteckten Alarm ausgelöst hatten, von dem ihr Verbündeter nichts wusste. Clay kauerte sich zwischen die Bäume. Er hatte Talin gesagt, sie solle so lange in der Hütte bleiben, bis Dorian oder er zu ihr kämen. Sie würde sich an den Plan halten, er konnte seine Aufmerksamkeit dem Eindringling zuwenden.
Sekunden später sah er ihn. Ganz in Schwarz gekleidet, bewegte er sich mit den vorsichtigen Schritten eines geübten Soldaten. Aber Clays Augen wurden von etwas anderem gefangen genommen: dem Emblem auf seiner Schulter. Zwei kämpfende Schlangen. Der Leopard unterdrückte ein Knurren. Diese Uniform hatten auch jene Männer getragen, die die DawnSky-Hirsche hinterrücks abgeschlachtet hatten.
Die Augen des Medialen waren vollkommen schwarz, kein Weiß, keine Sterne. Vielleicht kommunizierte er gerade per Telepathie.
Clay musste sich im Bruchteil einer Sekunde entscheiden. Wenn der Mann ihr Kontakt war, war es sinnlos, ihn zu töten. War er es aber nicht, musste er ihn sofort ausschalten. Kurz darauf nahm ihm der Mann die Entscheidung ab, indem er sich mit einem Bein hinkniete, das Gewehr anlegte und die Hüttentür anvisierte.
Clay kümmerte sich nicht um Feinheiten. Wenn der Mediale ihn beim Herankommen bemerkte, würde er ihn töten. Also schlug er leise und kraftvoll zu. Bevor ihn Clays Krallen im Brustkorb trafen und auf den Boden schleuderten, gelang es dem Medialen noch, sich zur Seite zu drehen und Clay anzusehen. Schmerz explodierte in Clays Kopf, aber er hatte dem Mann schon die Kehle durchgebissen.
Doch in dieser Tausendstelsekunde hatte ihm der Mediale mit psychischer Kraft einen Schlag verpasst. Clays Nase blutete, als er wieder die Gestalt eines Menschen annahm. Er wischte mit dem Handrücken das Blut ab und hob die Leiche hoch. Der Tote musste so beseitigt werden, dass niemand auf den Gedanken kam, dass Gestaltwandler mit der Sache zu tun gehabt hatten.
Wertvolle Sekunden brachte er damit zu, die Leiche in eine Plane zu wickeln und auf die Ladefläche des Lastwagens zu werfen. Zum Glück waren weder Tally noch Jon Gestaltwandler und würden den Toten nicht riechen. Obwohl er wusste, dass ihm die Zeit davonlief, kehrte er noch einmal um und verwischte die Spuren seiner Tat. Es würde so aussehen, als hätte sich der Soldat in Luft aufgelöst.
„Oh Gott“, flüsterte Talin und biss die Zähne zusammen, als die Uhr zehn Minuten nach neun anzeigte. Clay war ein Wächter, sagte sie sich. Er konnte es mit allem aufnehmen, was durch den Wald strich. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie Jon und dem Mädchen über das Haar strich. Die Kleine hatte sicher persische Wurzeln, ihre Haut war braun und ihr Gesicht fein geschnitten wie das einer Prinzessin.
Sie
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