Im Feuer der Nacht
welcher Hinsicht?“
„Man hielt dich für schwach, aber du bist trotzdem entkommen. Vielleicht hat das auch anderen Mut gemacht, die nie geglaubt hätten, sie könnten gegen den Rat ankommen.“
„Ich habe meinen ‚Defekt‘ nie als etwas Positives gesehen.“
Talin zuckte die Achseln. „Ich bin keine Expertin–“
„Aber du bist ziemlich gut darin, feinste Nuancen in Gefühlen wahrzunehmen“, unterbrach Sascha sie. „Wer weiß, vielleicht findet sich in deinem Stammbaum auch eine Empathin.“
Talin schüttelte den Kopf. „Ich bin ein Mensch und damit zufrieden.“
„Das solltest du auch“, sagte Sascha, in deren Augen wieder Sterne leuchteten. „Ohne die Menschen hätten Mediale und Gestaltwandler sich schon vor Ewigkeiten umgebracht. Trotz Silentium.“
„Das hat Clay auch gesagt.“ Talin lächelte voller Erinnerungen, als gleichzeitig ein beklemmendes Gefühl in ihr aufstieg. Ein lauter Pfiff ließ sie aufblicken. Dorian warf ihr eine Kusshand zu. Sie sah ihn finster an, fühlte sich aber geschmeichelt. „Der Mann ist prachtvoller, als gut für ihn ist.“
„Er ist anders, wenn du in der Nähe bist.“
„Was meinst du damit?“
„Er flirtet mit dir.“
Talin wurde rot. „Mit dir doch auch.“
„Ich bin die Frau seines Alphatiers. Ich weiß noch nicht genau, was das für die nicht gebundenen Männer heißt, aber in Bezug auf das, was sie von mir an Zuneigung erwarten und annehmen, habe ich einen einzigartigen Stand im Rudel.“
„Er scheint sich mit Berührungen nicht gerade zurückzuhalten“, warf Talin ein, die inzwischen wusste, wie wichtig körperlicher Kontakt für Gestaltwandler war. Genau wie für sie. Zu ihrer eigenen Überraschung spürte sie ein ungeheures Verlangen nach Berührung, konnte den ganzen Tag wie eine Katze auf den Kissen liegen und sich von Clay streicheln lassen. Allein die Vorstellung ließ sie schon dahinschmelzen.
„Das stimmt, aber ich habe noch nie erlebt, dass er jemanden so wie dich behandelt hat– Brenna behandelt er wie eine Schwester und Rina ebenfalls.“
„Was ist mit Mercy und Tammy?“
„Mercy ist keine Frau“, sagte Sascha und lachte über Talins Gesichtsausdruck. „Jedenfalls nicht für Lucas und die anderen. Zuallererst ist sie Wächterin, und sie lässt auch keine Gelegenheit verstreichen, dich immer wieder daran zu erinnern. Tammy kennt Dorian von Kindesbeinen an, aber dich behandelt er wie eine Frau. So charmant…“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich hatte keine Ahnung, dass er so sein kann.“
„Er weiß, dass ich mit Clay zusammen bin“, fühlte sich Tally bemüßigt zu sagen. „Es ist nicht–“
„Nein, das meinte ich auch nicht“, unterbrach sie Sascha. „Dorian würde nie in fremden Revieren wildern, und er würde jeden, der es bei Clay versuchte, in Stücke reißen, ohne dafür ein Wort des Dankes zu erwarten.“
Talin lächelte über den scherzhaften Ton. „Hab ich mir gedacht. Vielleicht siehst du jetzt nur eine dir vorher unbekannte Seite von ihm.“
„Ich glaube, du hast recht.“ Sascha stellte ihre Tasse ab. „Ich habe ihn kennengelernt, als er voller Zorn war– er hatte seine Schwester verloren. Ich weiß nicht, wie er vorher war. Vielleicht kehrt nun ein Teil des alten Dorian zurück.“
„Er ist immer noch wütend.“ Talin sah, wie der goldene Schopf sich bückte, einen der Zwillinge hochnahm und sich über die Schulter warf.
„Ja.“ Tiefe Traurigkeit lag in Saschas Stimme, Talin konnte ihren Schmerz fast körperlich spüren. Dann schüttelte die Kardinalmediale den Kopf. „Aber genug davon. Dorian würde uns wahrscheinlich wütend anknurren, weil wir es wagen, uns um ihn zu kümmern.“ Ein ermutigendes Lächeln umspielte ihren Mund. „Willst du mir nicht erzählen, was dich bedrückt?“
Talin war nicht überrascht, dass Sascha ihr etwas angemerkt hatte. „Clay und ich sind Gefährten.“
„Das weiß ich.“
„Wie konnte das bloß passieren?“, fragte Talin panisch. „Ichbin krank und–“ Und sie war egoistisch gewesen. „Ich wollte, dass er mich liebt, aber ich wollte ihn doch nicht umbringen.“
„Als ich mit Lucas auf dem Paarungstanz war“, sagte Sascha, und aus jedem ihrer Worte war Mitgefühl zu hören, „hat Tammy mir erzählt, dass der Prozess bei jedem Paar anders abläuft. Die einzige Konstante scheint zu sein, dass die Frau die Verbindung annehmen muss, damit sie zustande kommt.“
„Das habe ich aber nicht getan! Ich hätte ihn nie willentlich dieser Gefahr
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