Im Feuer der Nacht
hatten. Aber wenn Jon ein Nachkomme mit einem besonders hohen medialen Anteil ist, ergibt es einen Sinn. Bei ihm steht null Komma fünfundvierzig.“
„Fünfundvierzig Prozent medial?“ Sascha nickte. „Was ist–“
Talin hatte bereits die Zahlen der anderen entführten Kinder gefunden. „Vierzig, sechsunddreißig, neununddreißig– nie weniger als fünfunddreißig Prozent.“ Sie zog eine weitere Akte heraus. Erst hatte sie gedacht, Dev sei ein Fehler unterlaufen. „Und hier ist meine.“
„Du bist eine Mediale, Tally?“ Clays Mund verzog sich zu einem amüsierten Lächeln.
„Wohl kaum. Sieh her.“ Sie zeigte ihm die Prozentzahl, die hinter ihrem Namen stand, aus Angst wurde Empörung. „Null Komma null drei! Drei Prozent! Das ist ein Witz.“ Obwohl diese minimalen medialen Anteile gewisse „Ahnungen“ erklärten. Aber wahrscheinlich, schnaubte sie innerlich, waren sie bloß die gute alte menschliche Intuition. „Ich frage mich, warum Shine mich überhaupt genommen hat.“
Clays Heiterkeit verwandelte sich in Unglauben. „So niedrig? Aber was ist mit deinem Gedächtnis?“
„Wenn man den Akten glauben kann, hatte auch mein Großvater mütterlicherseits ein fotografisches Gedächtnis. Und er war zu hundert Prozent ein Mensch.“ Sie wurde ruhiger. „Auch wir Menschen haben unsere Gaben.“
„Das weiß ich.“ Clay griff wieder nach ihrem Pferdeschwanz. „Vielleicht sollten wir Shine doch mehr vertrauen. Was ist, wenn sie doch hauptsächlich Menschenkinder nehmen? Schließlich haben die Medialen Menschen geheiratet, da können sie sich doch unmöglich noch als Mediale ansehen.“
„Du könntest recht haben. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.“ Talin sah auf die ausgebreiteten Dokumente vor sich. „Manche der Shine -Kinder sind zu begabt, um sich um so profane Dinge wie Akten und Organisation zu kümmern. Wir Arbeitsbienen halten die Chose zusammen– das könnte auch ein Grund dafür sein, die mehr menschlichen Nachkommen aufzunehmen.“
Sascha sah sie mit einem eigenartigen Ausdruck an. „Ich habe ja schon gehört, dass sich Menschen als Arbeitsbienen bezeichnen. Aber noch nie–“ Sie schüttelte den Kopf. „Darüber reden wir später.“
Talin nickte. „Jetzt müssen wir mit Dev sprechen.“
„Ist vielleicht besser, wenn Sie dabei allein sind. Wir warten in meinem Büro“, sagte Lucas.
Talin ging erst zum Bildschirm, nachdem das Alphapaar den Raum verlassen hatte. Mit einer Taste aktivierte sie die Kommunikationsfunktion.
Clay stellte sich hinter sie, und als sie sich an ihn lehnte, fühlte er, wie sich etwas in ihm löste. „Ruf ihn an.“
Sie legte leicht die Hand auf den Arm, den er um ihre Taille geschlungen hatte, und gab mit der anderen die Privatnummer von Dev ein. Er hatte sie ihnen mit den Akten übermittelt. „Clay, wenn wir recht haben, bin ich teilweise eine Mediale.“
„Du riechst wie ein Mensch, und du schmeckst wie ein Mensch.“ Er knabberte an ihrem Ohr. „Und du hast das Herz eines Menschen. Mach dir keine Sorgen– ich bin sicher, dass sogar Luc zu mehr als drei Prozent ein Medialer ist.“
„Woher weißt du, dass ich mir Sorgen gemacht habe?“
Weil etwas in ihm, für das er keine Erklärung hatte, sie auch ohne Worte verstand. „Ich kann in dich hineinsehen.“ Er lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Bildschirm, auf dem gerade das Gesicht von Devraj Santos erschien.
Tiefe Linien hatten sich um seinen Mund gegraben. „Sie haben die Akten gelesen?“
„Ja“, antwortete Talin. „ Shine sammelt Nachkommen von Medialen ein?“
Santos gab sich nicht die Mühe, Überraschung vorzutäuschen. „Wir sammeln sie nicht ein, sondern stellen wieder eine Verbindung zu ihnen her. Die Geschichte der Vergessenen– der Medialen, die das Medialnet nach der Einführung von Silentium verließen– ist sehr verzwickt, aber hauptsächlich ging es darum, vor etwa drei Generationen jegliche Spuren zu verwischen, denn der Rat machte Jagd auf uns.“
Der Leopard in Clay misstraute der plötzlichen Offenheit des Direktors von Shine . „Heute sind Sie aber sehr kooperativ.“
„Das könnte an einem Wechsel in der Unternehmensleitung liegen.“ Sein Kinn sah wie in Stein gemeißelt aus. „Ich habe den Älteren Bilder davon gezeigt, was man den Kindern angetan hat– Kinder, die unter unserem Schutz standen. Zwei haben einen Herzinfarkt erlitten. Die anderen haben mir freie Hand gegeben.“ Santos klang gefasst, aber seine Augen verrieten, was ihn
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