Im Feuer der Nacht
nehme an, Sie würden sich lieber über unsere Ermittlungen austauschen als über die neueste Aufführung am Königlichen Theater.«
Diesmal wirkte ihr Lächeln gleichermaßen selbstgefällig und vertraulich. »Unzweifelhaft.« Sie schaute sich um. »Aber wenn wir über Verbrecher und Entführungen sprechen, würde ich vorschlagen, dass wir uns ein ruhigeres Eckchen suchen.« Mit ihrem Fächer deutete sie auf die Ecke neben dem Türbogen, der in den Salon führte. »In dem Gebiet bleibt man gewöhnlich unbehelligt.« Sie schaute ihn an. »Sollen wir?«
Er bot ihr den Arm, den sie annahm; nur weil er sie eindringlich musterte, bemerkte er, dass sie sekundenlang irritiert und nervös war. Er hatte sie innerlich berührt; und dass er es getan hatte, war ihm klar, seit er das erste Mal den Blick auf sie gerichtet hatte - in jenem Moment, als sie sein Wohnzimmer betreten und ihn angeschaut hatte nicht inmitten einer Menschenmenge, sondern allein.
Während er sie durch den Salon führte, notwendigerweise hier und da innehielt, um andere Gäste zu grüßen, hatte er Gelegenheit, über seine ungewöhnliche Reaktion auf sie nachzudenken. Im Grunde genommen war es nur zu verständlich, denn seine Reaktion war nichts anderes als eine unmittelbare Folge ihrer Reaktion auf ihn. Wenn sie ihm ein unbefangenes Lächeln schenkte, dann nicht, weil er ein attraktiver Gentleman war - die meisten geblendeten jungen Ladys vermochten nicht tiefer zu blicken -, sondern weil sie den Mann hinter der Fassade erkannte und auf ihn reagierte, auf den Ermittler, mit dem sie, jedenfalls in ihrer Einbildung, zusammenarbeitete.
Es war der Ermittler in ihm, dem sie ihr Lächeln schenkte, seine intellektuelle Seite. Das war es, was ihn so seltsam berührte; es war erfrischend, dass seine männlichen Eigenschaften schlicht übersehen wurden, missachtet, weil unbedeutend, und er stattdessen wegen seiner geistigen Fähigkeiten und seiner Leistungen geschätzt wurde. Es mochte sein, dass Penelope eine Brille trug; aber ihr Blick war erheblich schärfer und tiefgründiger als der ihrer Altersgenossinnen.
Schließlich waren sie in der Ecke angekommen, ein wenig abgetrennt von den anderen Gästen und gleichzeitig abgeschnitten vom regen Verkehr in den Salon und heraus. Hier konnten sie frei sprechen, blieben für die Gesellschaft aber uneingeschränkt sichtbar.
»Perfekt.« Sie zog die Hand von seinem Ärmel, schaute ihn an. »Nun, zu welchem Ergebnis ist Inspektor Stokes gekommen?«
Barnaby unterdrückte den Impuls, sie zu belehren, dass nicht allein Stokes seine Schlüsse gezogen hatte. »Nachdem wir sämtliche mögliche Tätigkeiten durchdacht haben, für die Jungen in dem Alter gebraucht werden können, scheint es am wahrscheinlichsten, dass es sich in diesem Fall um Einbruch handelt.«
»Aber was fangen Einbrecher mit solch jungen Burschen an?«
Er erklärte es ihr. Sie war erschrocken.
Ihre Augen funkelten hinter den Linsen, als sie kategorisch verlangte: »Wir müssen die Jungen unverzüglich retten.«
Barnaby registrierte die Entschlossenheit in ihrem Tonfall, blieb aber ungerührt. »In der Tat. Während Stokes seine Bekanntschaften und Kontakte bemüht, um die Lehranstalt ausfindig zu machen, gibt es einen anderen Weg, über den wir uns meiner Auffassung nach Gedanken machen sollten.«
Penelope fing seinen Blick auf. »Welchen?«
»Sind Ihnen ähnliche Jungen bekannt, die demnächst auch verwaist sein werden?«
Einen Moment lang starrte sie ihn an, hatte die dunklen Augen weit aufgerissen. Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass sie ihn nach den Gründen fragen würde. Stattdessen sondierte sie für kurze Zeit seinen Blick und war, wenn man der starren Haltung glauben durfte, nur zu bereit, ihm zu folgen.
»Gibt es welche?«, drängte Barnaby.
»Das kann ich so spontan nicht beantworten. Ich mache zwar all die Besuche, aber von der Aufnahme eines Kindes in unsere Akten bis zum Tod seines Vormunds kann manchmal ein Jahr vergehen.«
»Mit anderen Worten, es gibt eine Liste oder so, die die möglichen Waisenkinder verzeichnet?«
»Leider keine Liste, sondern einen Berg Akten.«
»Aber in den Akten findet sich neben der Anschrift auch eine genaue Beschreibung des Jungen?«
»Ja, was die Anschrift betrifft. Aber sonst notieren wir nur das Alter, die Haar- und die Augenfarbe. Das ist alles an Beschreibung. Nicht genug für unseren Zweck.« Sie fing seinen Blick auf. »Aber wie dem auch sei, ich kann mich recht gut an die Kinder
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