Im Gewand der Nacht
ganz bewusst aus, denn wenn İskender nicht derjenige war, der Ardiç von Hassan Şeker erzählt hatte, dann …
Tepes Gesicht wurde noch blasser – wie zur Bestätigung, dass er tatsächlich derjenige war, der den Polizeipräsidenten über İkmens anhaltende Nachforschungen im Fall İpek informiert hatte.
»Wenn Sie einen Antrag auf Versetzung stellen, haben Sie meine volle Unterstützung.« İkmen trank seinen Kaffee aus und erhob sich. »Aber denken Sie nicht zu lange darüber nach.«
An der Tür blieb er noch einmal stehen.
»Der Kaffee war übrigens ausgezeichnet, der beste, den ich seit langem getrunken habe.« İkmen lächelte. »Richten Sie Ihrer Kreditkarte meinen Dank aus.« Dann ging er.
Tepe ließ den Kopf in die Hände sacken und schloss die Augen, um die Tränen der Wut zu unterdrücken. Er hätte nie gedacht, dass das passieren könnte. Bei vielen Dingen in seinem Leben hatte er ein Scheitern einkalkuliert, doch auf Ayşe hatte er sich vollkommen verlassen. Dabei hatte er all das doch nur für sie getan. Menschen waren gestorben – nicht durch seine Hand, schließlich war er kein Mörder –, nur damit sie alles haben konnte, was sie sich wünschte. Im Gegenzug hatte er von ihr nur ein wenig Anerkennung als Mann erwartet, Verständnis für seine Bedürfnisse und die Bestätigung, dass er »Prinz« Mehmet überlegen war. Er wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. In weniger als einer Stunde musste er in Kandilli seinen Dienst antreten, doch wie sollte er sich mit all diesen Gedanken im Kopf auf seine Arbeit konzentrieren? Wenn İkmen ihn auf irgendeinen entlegenen Posten versetzen ließ, würde er wieder mehr Geld brauchen. Viel mehr Geld. Er würde etwas verkaufen müssen, so wie er es schon einmal getan hatte. Er konnte sowieso nie wieder in sein altes Leben zurück – daran hatte Hassan Şeker keinen Zweifel gelassen, als er ihn zum zweiten Mal verhört hatte, allein in seinem Laden. Hassan Şeker, der sich mit dem Gewehr das Gehirn weggeblasen hatte …
»Jetzt gib mir schon das Geld!«, sagte das Mädchen und schnippte mit ihren kleinen Wurstfingern vor dem Gesicht ihres Vaters herum.
»Nur wenn du Abdullah mitnimmst«, erwiderte Ali Müren streng.
»Oh, Mann!« Seine Tochter stampfte mit ihren hochhackigen Schuhen auf dem Boden auf.
»Ich hab es satt, dauernd Schweigegeld in den Klamottenläden zu zahlen, in denen du was mitgehen lässt, Alev«, entgegnete ihr Vater. »Wenn du alles ausgegeben hast, kann Abdullah dich nach Hause bringen.«
»Aber der ist so ein Idiot! Ich kann Abdullah nicht ins Akmerkez oder in die Galeria mitnehmen!«
»Dann geh eben woanders hin!« Ali Müren stand auf. Er war zwar kein großer Mann, überragte seine Tochter aber deutlich. Mit einer Mischung aus Resignation, Wut und inniger Zuneigung blickte er auf sie herab. »Versuch’s doch mal in der İstiklal Caddesi.«
»Da sind nur alte und langweilige Läden!«, schmollte Alev.
»Fahr trotzdem hin.« Er reichte ihr zwei dicke Bündel Geldscheine. »Eins ist für dich, das andere bringst du in die Türbedar Sokak.«
»Oh, Mann … Muss ich wirklich bei Großmutter vorbei?«
Ali stöhnte verärgert. »Ja, das musst du. Das sind wir ihr schuldig.« Dann wandte er sich an den Mann mittleren Alters, der schweigend in einer Ecke gesessen hatte. »Bring meine Tochter zur Türbedar Sokak und dann zur İstiklal Caddesi, Abdullah, und achte darauf, dass sie nicht wieder was mitgehen lässt.«
»Ja, Ali Bey«, brummte Abdullah und ließ seine nikotingelben Zahnstummel sehen.
Alev warf ihren sorgfältig frisierten Kopf zurück und marschierte bockig zur Tür. Bei jedem Schritt wackelten die Speckrollen an ihrem Gesäß. Abdullah erhob sich ebenfalls und folgte ihr.
Als die beiden fort waren, öffnete Ali Müren die Tür zu seinem großen Balkon und lächelte den hoch gewachsenen blonden Mann an, der dort wartete und das rege Treiben auf der Straße unter dem Balkon beobachtete.
»Meine Tochter. Die Jüngste«, sagte Ali und gesellte sich zu dem Mann an die Brüstung. »Sie hat einen teuren Geschmack, aber …«
»Aber Sie lieben sie nun mal«, vervollständigte der andere mit tiefer Stimme und starkem Akzent Mürens Satz. »Bald werden Sie ihr alles geben können, was sie sich wünscht.« Er lächelte.
»Inschallah!«
Beide Männer sahen zu, wie Alev und der getreue Abdullah in einen großen japanischen Wagen stiegen und kurz vor einem ziemlich lädierten Mercedes in den Verkehr einscherten. Die
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