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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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wartete eine große Kanne Eistee …
    Metin İskender blickte zum Malta Köşkü hinüber. Er würde bald zur Terrasse gehen und sich ein kaltes Getränk bestellen müssen; einige der Gäste warfen ihm bereits misstrauische Blicke zu. Er war den Teil des Weges, den man vom Pavillon aus einsehen konnte, mehrmals abgelaufen, die Augen immer auf den Boden und das dichte Gestrüpp am Wegesrand gerichtet. Doch bisher hatte er nichts Ungewöhnliches entdecken können. Er war sich aber auch nicht sicher, was er eigentlich suchte: eine hölzerne Falltür, die nach außen aufsprang, sobald man irgendeinen unterirdischen Hebel betätigte; einen verdächtig wirkenden Gullydeckel; irgendwelche merkwürdigen, unerklärlichen Schneisen im dichten Gebüsch …
    Andererseits wusste er genau, dass sie irgendwie anders aussehen musste – diese Vorrichtung, die einen Mann aus den unterirdischen Gängen, wie Mehmet Süleyman sie beschrieben hatte, an die Erdoberfläche befördert. Wenn er eines aus dem Besuch der David-Copperfield-Show in Paris gelernt hatte, dann doch, dass die besten Illusionen sehr simpel waren und beim Zuschauer eine Manipulation der Wahrnehmung bewirkten. Irgendwie wurde das Auge von dem abgelenkt, was tatsächlich passierte, und zwar durch einen scheinbar interessanteren Vorgang in der unmittelbaren Umgebung des Betrachters. İskender setzte sich auf die niedrige Steinmauer am Rande des Wegs und zündete sich eine Zigarette an. Der wichtigste Ablenkungsfaktor in seinem direkten Umfeld war der Malta Köşkü; hier war immer etwas los, vor allem am Wochenende und an warmen Sommerabenden. Die Gäste, die hierher kamen, waren nicht arm, und Schiwkow hatte in seinem hellgrauen Sommeranzug und den eleganten italienischen Schuhen genau wie jeder andere wohlhabende Mann ausgesehen, der sich auf dem Weg zu einem abendlichen Festmahl im Freien befand. Allerdings hatte Schiwkow sich nicht auf die Terrasse gesetzt, sondern war um das Restaurant herumgegangen, wobei er die mit Weinreben umrankte Loggia durchquerte und dann vermutlich den Hügel hinunter zum Parkausgang an der Çirağan Caddesi ging. Obwohl Belkis Metin an dem Abend, als Schiwkow wie aus dem Nichts auftauchte, erschrocken an den Schultern gepackt und geschüttelt hatte, hatte er den Schwerverbrecher nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen.
    Jetzt wischte er sich den Schweiß von der Stirn und drückte die Zigarette auf dem Boden aus; er brauchte dringend etwas zu trinken. Langsam schlenderte er zur Terrasse vor dem Pavillon, bestellte Wasser und eine Karaffe Kirschsaft und setzte sich an den Tisch links neben den, an dem er mit Belkis gesessen hatte. Dann ließ er seinen Blick immer wieder den Weg hinauf- und hinunterschweifen, wobei er versuchte, irgendwelche hervorspringenden Objekte zu entdecken. Die Wärme und die Müdigkeit bewirkten, dass seine Lider schwer wurden. Er hatte in der vergangenen Nacht kaum geschlafen, da ihn die Bilder von Nina Schiwkows aufgespießtem Kopf wieder verfolgten. Und heute früh in İkmens Wohnung hatten die drei Männer fieberhaft nach einer Verbindung zwischen den verwirrenden und scheinbar voneinander unabhängigen Ereignissen gesucht. Während seine Lider unter dem tonnenschweren Druck der Müdigkeit nachgaben, hatte er das Gefühl, irgendetwas übersehen zu haben – irgendetwas, das jetzt ganz hinten in seinem Kopf herumgeisterte. Aber er wusste nicht, was es war, und es war ihm auch egal. Denn er brauchte dringend etwas Schlaf, auch wenn er sich an einem öffentlichen Ort befand.
    Sein Kinn sank langsam auf seine Brust, als er plötzlich den Klang einer vertrauten Stimme hörte. Erstaunt riss er die Augen auf und schüttelte den Kopf, um wach zu werden. Schließlich wollte er den Mann ansprechen können, der offenbar direkt hinter ihm stand.
    »Also um acht«, hörte er die Stimme des Kollegen sagen, der dann jedoch an ihm vorbeiging und sich langsam von der Terrasse entfernte.
    »Ja«, erwiderte der Mann, der ihn begleitete. »Acht Uhr, hier am Pavillon.«
    İskender erkannte den Begleiter seines Kollegen im Profil und setzte rasch seine Sonnenbrille auf. Selbst mit dem großen Hut und dem ungewöhnlichen Schnurrbart waren die Nase und die Augen, die denen seines Bruders ähnelten, unverkennbar.
    İskender beobachtete gebannt, wie Vedat Sivas sich bei Orhan Tepe einhakte. Dann gingen die beiden gemeinsam in Richtung Loggia, auf genau dem gleichen Weg, den Schiwkow am Tag zuvor gewählt hatte.
     
    İkmen stützte sich

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