Im Gewand der Nacht
und blickte seiner Tochter in die Augen. »Aber wenn Herr Cohen sich Sorgen macht, dass ihr zwei vielleicht etwas miteinander anfangt, dann müssen wir das akzeptieren, Hülya.«
Tränen schossen ihr in die Augen. »Was meinst du damit?«
»Ich meine damit, dass die jüdische Bevölkerung in dieser Stadt eine sehr lange und rühmliche Tradition hat. Berekiahs Familie ist vor fünfhundert Jahren aus Spanien hierher geflohen, und obwohl sie immer Anteil genommen haben am Leben in diesem Land, haben sie nie außerhalb ihrer Religion geheiratet.«
»Woher wollen sie das wissen?«, fragte Hülya verächtlich und wischte sich eine Träne aus den Augen. »Woher wollen sie das denn wissen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte İkmen achselzuckend, »aber so heißt es nun mal. Und da ihnen diese Tatsache sehr wichtig ist, müssen wir ihren Standpunkt akzeptieren.«
»Ja, aber was ich wirklich wissen will, ist, ob du damit einverstanden wärst«, bedrängte Hülya ihren Vater. »Ich meine, mal angenommen, ich wollte Berekiah heiraten, was würdest du dann tun?«
»Du meinst, abgesehen davon, dass ich deine Mutter beschwichtigen und mich fragen würde, woher ich das Geld nehmen soll, um dir ein Bett und eine Küche zu kaufen?«
»Also würdest du …«
»Ich würde dich nicht davon abhalten, Hülya. Aber Herr Cohen und deine Mutter würden es vielleicht versuchen, und ich müsste lügen, wenn ich dir versprechen sollte, mich gegen die beiden zu stellen.« Er seufzte. »Allerdings hoffe ich doch sehr, dass diese ganzen Überlegungen etwas verfrüht sind. Ich vertraue darauf, dass ihr beide wirklich nur Freunde seid. Es will sorgfältig überlegt sein, ob man jemanden mit so unterschiedlicher Herkunft heiratet. Da gilt es, verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, wie etwa die Sprache – die Cohens sprechen untereinander Ladino, was du nicht beherrschst –, die Kindererziehung und die Meinung von anderen, auch wenn dir das nicht passt.«
»Du hast immer gesagt, dass dir die Meinung anderer Leute egal ist«, konterte seine Tochter bockig.
»Das stimmt«, erwiderte İkmen. »Aber ich habe auch ein ziemlich dickes Fell.«
Hülya musste trotz allem lächeln.
»Ich möchte einfach nicht, dass man dir wehtut«, sagte ihr Vater ernst. »Vielleicht solltet ihr euch nicht mehr einfach so treffen. Das macht Eltern meistens sehr misstrauisch. Bitte Berekiah doch zum Essen zu uns, sobald deine Mutter wieder zurück ist. Ich bin mir sicher, dass Herr und Frau Cohen diese Einladung erwidern werden. Vielleicht gefällt ihnen der Gedanke zunächst nicht, aber sie werden sich letztlich doch dazu bereit erklären.«
»Hmm.« Hülya blickte wieder auf ihre Hände hinunter und seufzte.
»Ich will damit sagen, dass ihr es meiner Meinung nach etwas langsamer angehen solltet«, fuhr İkmen fort. »Eine Heirat ist auch ohne die kulturellen Unterschiede, von denen wir hier reden, immer ein gewaltiger Schritt. Du musst dir sicher sein, dass du es wirklich willst, und dass dein zukünftiger Ehemann auch der Mensch ist, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen möchtest. So etwas braucht Zeit. Wie du ja heute unglücklicherweise mitbekommen hast, habe ich für mindestens ein anderes Mädchen Gefühle gehegt, bevor ich deine Mutter kennen lernte. Aber seit wir verheiratet sind, hat es für mich nie wieder eine andere gegeben. Doch du bist noch sehr jung.«
»Viele Mädchen heiraten in meinem Alter.«
»Ja, ich weiß. Aber normalerweise keine ehrgeizigen, gebildeten Mädchen wie du.«
Hülya blickte ihren Vater ernst an. »Ich glaube nicht, dass ich noch Schauspielerin werden möchte, nicht nach dem, was mit Hatice passiert ist.«
İkmen stand auf, ging zum Sofa hinüber und setzte sich neben seine Tochter. Dann legte er einen Arm um ihre Schultern. Es war gut zu wissen, dass sie nicht länger eine Karriere in der unsteten Welt der Unterhaltung anstrebte – aber die Tatsache, dass sie sich stattdessen ganz auf Berekiah Cohen konzentrierte, machte die Sache auch nicht gerade leichter. Was war nur mit diesem Mädchen los? Sie hatte es ihren Eltern noch nie einfach gemacht: Fatma sagte immer, sie sei schon mit einem eigenen Kopf auf die Welt gekommen.
Das laute Krachen einer Tür, die zugeschlagen wurde, ließ İkmen hochschrecken. Bülent war offensichtlich immer noch wütend darüber, dass er sein Zimmer zur Verfügung stellen sollte – der zweite Teenager der Familie mit einem eigenen Kopf. İkmen schloss die Augen und hoffte, dass
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