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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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wollte er sich noch kurz umziehen.
    Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, sagte İkmen: »Ich glaube, dass Hikmet Sivas möglicherweise einer der Haremkunden war.«
    Süleyman blickte ihn ernst an. »Wie kommst du darauf?«
    »Ich habe eine eher ungewöhnliche Quelle.«
    »Also jemand, der sehr seltsam und unzuverlässig ist«, schloss Süleyman, der sich mit der Sorte von Informanten gut auskannte, die sein ehemaliger Vorgesetzter irgendwie anzuziehen schien.
    İkmen lächelte. »Ja, das könnte man so sagen.« Dann verdüsterte sich seine Miene. Obwohl sie gemeinsam die Entscheidung getroffen hatten, sich auf dieses Unternehmen einzulassen, von dem sie nicht wussten, wohin es führen würde, fühlte er sich verantwortlich. Gegen seinen dienstlichen Auftrag zog er zwei junge Männer in etwas hinein, das sie alle ruinieren oder sogar das Leben kosten konnte.
21
    An diesem Abend war es endlich soweit. Der Moment, an den er so häufig gedacht hatte, auf den er hingearbeitet und für den er die schrecklichsten Dinge getan hatte, stand unmittelbar bevor. Manchmal hatte er befürchtet, sie würden es nicht schaffen, Hikmets »Freunde« seien einfach zu stark. Und ohne das Eingreifen des Bulgaren wäre es ihnen auch nicht gelungen; deshalb hatte Vedat ihn ja überhaupt eingeschaltet. Allein hätte er trotz seines Wissens und all seiner Erfahrung die Sache niemals auch nur in Erwägung ziehen können. Schiwkows Geld hatte ihnen alles erkauft: Schweigen, Furcht, Loyalität und Tod. Und sogar die Polizei.
    Trotz des mühsamen Anstiegs musste Vedat lächeln. Dieser junge Wachtmeister würde Augen machen, wenn er sah, mit wem er heute zu Abend essen durfte. Noch Jahre später würden die Leute voll Ehrfurcht von diesem Ereignis sprechen. Allerdings nur einige wenige Leute. Die meisten würden niemals erfahren, dass von nun an eine »neue Ordnung« herrschte, wie Schiwkow es genannt hatte. Solange man ihnen ihre Mobiltelefone und Fernseher ließ, schien es den Menschen egal zu sein, wer im Hintergrund die Fäden zog.
    Im Grunde war es eigenartig, dass dies alles letztlich aus einer Schwäche entstanden war. Hale hatte schon immer gesagt, Unzucht und Habgier brächten nichts als Tod und Verdammnis hervor, und sie hatte Recht behalten. Vedats Sexualtrieb war nie besonders ausgeprägt gewesen, und was die Habgier anging – nun ja, er würde schließlich nur bekommen, was ihm zustand, oder etwa nicht? Jahraus, Jahrein hatte er sich in diesen Nachtwächterjobs gelangweilt, nur um Hikmet und seinen »Freunden« zu helfen. Sein Sohn hatte dank seines Filmstar-Onkels auf die Universität gehen können, während Vedat selbst die ganze Zeit wusste, was gespielt wurde und wer dahinter steckte. Hikmet verfluchte sich heute bestimmt dafür, dass er seinen armen, beschränkten Bruder so bereitwillig in alles eingeweiht hatte.
    Doch es hatte auch Momente der Angst gegeben. Als Hikmet nach der Entdeckung von Kaycees Kopf einfach weggelaufen war, hatte Vedat befürchtet, sein nach Rache dürstender Bruder könnte Schiwkow umbringen. Außerdem hatte er jederzeit damit rechnen müssen, dass die Polizei den Geheimgang des alten Paschas entdeckte, der ihm als Fluchtweg dienen sollte. Als die Beamten ihn schließlich fanden, war er jedoch schon längst durch die verfallenen Häuser am Rand des Anwesens entkommen, in denen Mahmud Effendi sich seinen Jünglingsharem gehalten hatte. Wäre dies die einzige Assoziation gewesen, die er mit diesen schäbigen Gebäuden verband, hätte Vedat gelächelt, aber es gab noch eine andere: Schließlich war auch Kaycee in gewisser Weise dort gewesen …
    Vedat Sivas wusste, dass er allein dafür schon in der Hölle schmoren würde. Doch er hoffte, dass sein Tod noch in weiter Ferne lag und ihm genügend Zeit blieb, die Freigebigkeit der Großen und Mächtigen in Anspruch zu nehmen, bevor sein Fleisch in den Flammen der Verdammnis verging. Er zwang sich zu einem Lächeln und sah sich in dem Séparée um, das der Maître d’Hôtel im Malta Köşkü für sie hergerichtet hatte. Dies alles hatte Schiwkow eine Menge Geld gekostet – weniger das Essen als vielmehr das Schweigen des Maître d’Hôtel und einiger anderer Eingeweihter, jener Männer und Frauen, die die Polizei verhört hatte, ohne das Geringste in Erfahrung zu bringen. Aber sie hätten ohnehin nicht viel verraten können, außer vielleicht, dass Vedat gar nicht verschwunden war. Heute Abend würde es hier um Milliarden gehen, doch das würden sie nie

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