Im Gewand der Nacht
erfahren. Nur ganz wenige würden das jemals erfahren.
Nach einem kurzen Blick auf die festlich gedeckte Mahagonitafel verließ Vedat den Raum. Obwohl es noch nicht Abend war, konnte man schon ahnen, dass die Hitze bald ein wenig nachlassen würde. Das wäre eine große Erleichterung. Diese Maskierung machte ihn völlig fertig, vor allem der riesige Hut, unter dem sich die Hitze staute. Sein einziger Trost war der Gedanke, dass es ihm immer noch besser ging als seinem Bruder. Jedem musste es besser gehen als Hikmet. Vedat blickte auf seine Füße, unter denen sich die Geheimgänge der Yıldız- Palastanlagen befanden, und lächelte.
»Ich dachte, wir würden den Abend zusammen verbringen«, sagte Zelfa, während sie zusah, wie ihr Mann ein sauberes blaues Hemd überstreifte. Er hatte geduscht und sich dann mit gewohnter Sorgfalt frisiert und seine Kleidung ausgewählt.
»Ja, es tut mir Leid«, erwiderte er, »aber ich muss weg.«
Zelfa verzog das Gesicht. »Wohin denn?«
»Ich habe dir doch gesagt, es hat berufliche Gründe«, antwortete er ruhig.
»Aber du hast doch heute Abend gar keinen Dienst …«
»Ich habe Çetin versprochen, ihm zu helfen, Zelfa.« Er nahm seine Hose vom Bett und zog sie an, wobei er Zelfas Blick sorgfältig auswich.
»Worum geht es denn?«, fragte sie. »Wobei sollst du Çetin İkmen helfen?«
Mehmet zog den Reißverschluss seiner Hose hoch und sah auf seine Frau hinunter, die ausgestreckt auf dem Ehebett lag.
»Darüber kann ich nicht sprechen, Zelfa. Tut mir Leid.«
»Also etwas Gefährliches«, sagte sie schmollend.
»Nein.«
»Dann muss es etwas völlig Verrücktes sein, wie ich İkmen kenne.« In ihrer Muttersprache Englisch fügte sie hinzu: »Ein paar Jungs spielen zum Spaß Räuber und Gendarm.«
»Was?«
»Ach verdammt, ihr benehmt euch doch alle wie die Kinder!«, brach es aus Zelfa hervor. »Mit euren Waffen, eurem Fußball und dem Machogehabe.«
»Ach, für dich bin ich also eine Art Hooligan?«, erwiderte Mehmet und hielt mühsam die Wut zurück, die er in sich aufsteigen fühlte. »Zuerst habe ich angeblich Jagd auf andere Frauen gemacht, und jetzt …«
»Dafür hab ich mich entschuldigt!«, rief sie. »Ich hab doch zugegeben, dass ich im Unrecht war!«
»Ja.« Er schnappte sich den Schlüssel und die Zigaretten vom Nachttisch. »Das hast du. Und ich habe deine Entschuldigung angenommen. Dabei hat es mich sehr verletzt, dass du glauben konntest, ich hätte eine Affäre, wo du gerade unseren Sohn zur Welt gebracht hast. Aber ich habe dir verziehen.«
»Muss das unbedingt so klingen, als hättest du mir einen Riesengefallen getan?«
»Hör auf!« Er war jetzt laut geworden. »Treib es nicht zu weit, Zelfa! Ich muss gehen.«
»Mehmet!«
Genau wie damals, als sie vorzeitig das Krankenhaus verlassen hatte, um ihren Mann zu Hause der Untreue zu bezichtigen, kam Zelfa plötzlich zur Besinnung und brach in Tränen aus. Doch diesmal ging Mehmet nicht zu ihr hinüber, um sie zu trösten. Er streifte sich seine Armbanduhr über und verstaute dann verschiedene Dinge in den Taschen seines Jacketts.
»Mehmet, es …«
»Ja, ich weiß, Zelfa, es tut dir Leid«, sagte er, doch sein Tonfall war eher beherrscht als liebevoll.
»Aber es tut mir wirklich Leid!«, schluchzte sie. »Ich wollte doch bloß …«
»Ich weiß nicht, wann ich zurückkomme.« Mehmet ging zur Tür, wobei er es immer noch vermied, sie anzusehen. »Also warte nicht auf mich.«
»Mehmet!«
»Tschüss.«
Er ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu.
Zelfas Schluchzen steigerte sich zu einem lauten Weinen und weckte den Säugling, der im Kinderzimmer nebenan geschlafen hatte.
Für große Gesten war sie nicht reich genug. Filmstars, schmollende Konkubinen und verwöhnte Odalisken konnten den Schmuck, den sie von ihren treulosen Liebhabern bekommen hatten, einfach aus dem Fenster werfen, so wie man früher die Nachttöpfe auf die Straße entleert hatte. Irgendeine Prinzessin hatte sogar einmal einen riesigen Diamanten, den ihr Mann ihr geschenkt hatte, zu Staub zermahlen und ihm ins Gesicht geschleudert, das sie ihm anschließend auch noch zerkratzte – so hieß es jedenfalls. Doch ihr eigener Liebhaber war alles andere als treulos, ganz im Gegenteil, er war eher zu aufmerksam, zu erpicht darauf, sie ganz genau kennen zu lernen, ihr im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut zu gehen.
Ayşe trat vom geöffneten Fenster ihres Zimmers zurück und legte die Schmuckstücke wieder in die
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