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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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konnte, bewegte sich außer ihnen nichts.
    Als die namenlosen Gestalten, die sie begleitet hatten, sie die Gangway hinauf ins Flugzeug führten, fragte Hikmet: »Wohin fliegen wir?«
    Die Luft war schwer von der Hitze und den Treibstoffdämpfen. Eine der Gestalten, ein besonders großer Mann, antwortete nur: »Guten Flug, Sir.«
    Während Hikmet die Gangway hinaufstieg, gingen ihm tausend Fragen durch den Kopf, eine drängender als die andere. Wo war Vedat? Seine Seele sollte in der Hölle schmoren! Aber was er auch getan hatte, er war sein Bruder, und Hikmet musste wissen, wo er sich befand. Wohin brachten ihn G.s Männer? Was würde mit Hale geschehen? Er wäre zu seiner Schwester zurückgekehrt, nachdem er sich um das Schwein Schiwkow gekümmert hätte. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen. Und Kaycee, die arme süße Kaycee. Wo war sie, wo war ihre Leiche? Hatte man ihr ein christliches Begräbnis gegönnt?
    Als er das Flugzeug betrat, spürte Hikmet, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Was für ein Albtraum! In dem Bemühen, Menschen zu gefallen, die er nicht verstand, hatte er nur erreicht, dass so viele andere getötet oder korrumpiert wurden. Warum hatte er derart verrückte Dinge getan? Weil er berühmt sein wollte? Weil er es Hollywood zeigen wollte? Dabei war er doch selbst Hollywood, oder nicht? Er war jetzt Amerikaner. Es war ihm gelungen, den Türken in sich loszuwerden – nur dass es ihm eben doch nicht hundertprozentig gelungen war. Hikmet Sivas hatte einen Harem, und weil er einen Harem hatte, bekam er Arbeit, Ali Bey, der Sultan – einfach lächerlich. Ein naiver Türke in amerikanischer Kleidung, der Fotos machte, die er nie würde benutzen müssen. Ein Mann mit einem Harem brauchte für sein Überleben nichts weiter als die übersättigte Lust der anderen. Warum war ihm das nicht klar gewesen? Warum nur hatte er diesen kleinen Schritt weiter gehen müssen? Er hatte versucht, die Sache in Ordnung zu bringen. Deshalb hatte er G. angerufen und ihn um Hilfe gebeten. G. hatte diese blutige Operation organisiert, er war es, der alles so gründlich »erledigt« hatte. Aber würde er nun auch ihn »erledigen«? Irgendeine Strafe wartete schon auf ihn, das hatte er in dem Moment gespürt, in dem er G. anrief.
    »Wir bringen Sie zurück in die Staaten.«
    Der Mann war groß und blond und sprach mit einem unbestimmbaren Akzent.
    »Warum?«, fragte Hikmet, obwohl er wusste, wie dumm die Frage war.
    »Weil Sie dort hingehören«, antwortete der Mann. »Dort wollten Sie doch immer hingehören, oder, Hikmet?« Er lächelte kalt. »Geld, Hollywood, der große Traum. Der Türke ist tot, nicht wahr, Mr Sivas? Genau wie Sie es wollten.«
    Der Mann fasste Hikmet am Ellbogen und führte ihn an Bassano und den anderen vorbei in den hinteren Teil des Flugzeugs.
    Hikmet ging wie betäubt mit. Das war es, die Worte des Mannes trafen den Nagel auf den Kopf. Er wollte den Türken töten. Er hatte alles getan, was sie wollten, um jenen Teil von sich abzutöten, der ihm stets im Weg stand. Den Türken töten und durch einen Pappsultan ersetzen, weil sich das besser verkaufte – genauso gut wie die anschmiegsamen, willigen, osmanischen Phantasiemädchen, die Vision einer längst vergangenen Zeit, einer Zeit, die untergegangen war wie ein sehr, sehr schlechter Film. Und ständig war er in die Intimsphäre der Männer eingedrungen und hatte etwas geknipst, wofür sie töten würden – alles nur, um diesen Traum am Leben zu erhalten, um sicherzugehen, dass der Türke blieb, wo er war, in seinem ungeliebten Grab.
    Als Hikmet neben dem Mann Platz nahm, wurde dessen Lächeln breiter. »Wenn wir in L.A. landen«, sagte er und legte den Sicherheitsgurt an, »werden Sie mich zu den Fotos führen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Entweder Sie tun es, oder ich töte Sie, Hikmet«, erwiderte der Mann schlicht.
    Hikmet blickte in Augen von unbestimmbarer Farbe, in ein unscheinbares, blasses und vollkommen unergründliches Gesicht. »Worin liegt denn Ihr spezielles Interesse an den Fotos?«
    »Es ist nichts Persönliches.« Der Mann lehnte sich bequem auf seinem Sitz zurück und schloss die Augen. »Der gemeinsame Freund, an den Sie sich mit Ihren Problemen gewandt haben und der die kleine Party heute Abend organisiert hat, möchte, dass ich sie verbrenne«, erklärte er. »Genauer gesagt, ein ganz bestimmtes Foto. Das muss ich Ihnen doch bestimmt nicht im Einzelnen erläutern, Hikmet.«
    Hikmet Sivas blickte bestürzt zu Boden.
    »Auf

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