Im Gewand der Nacht
diese Weise«, fuhr der Mann gut gelaunt fort, »können wir alle einfach weitermachen wie bisher, was nicht das Schlechteste wäre, habe ich Recht?«
Zuerst glaubte Zelfa, das Klingeln gehöre zu ihrem Traum. Eine ihrer Lehrerinnen, Schwester Immaculata, heiratete aus völlig unerfindlichen Gründen Burt Reynolds. Zur Feier dieses bewegenden Ereignisses, das Burt verblüffenderweise sehr glücklich machte, läuteten Kirchenglocken. Burt und die in volle Ordenstracht gekleidete, ungeschminkte Nonne wollten sich gerade küssen, als Zelfa begriff, dass sie kein Glockengeläut hörte, sondern das Klingeln des Telefons neben ihrem Bett.
Mühsam öffnete sie die Augen einen Spalt und ortete das Telefon, das in ihrem heißen, stickigen, dunklen Schlafzimmer aussah wie ein seltsam lebendiger Knochen. Schlaftrunken nahm sie den Hörer ab und hielt ihn sich mit zittriger Hand ans Ohr.
Irgendjemand sagte etwas Merkwürdiges in einer fremden Sprache.
»Was?«, krächzte sie mit belegter Stimme auf Englisch. »Ich verstehe kein Wort, verdammt noch mal!«
»Zelfa, hier ist Ali, Ali Ozakin.« Der Mann sprach Englisch mit starkem Akzent. Zelfa runzelte die Stirn. Der Name kam ihr bekannt vor. »Wir haben ein paarmal zusammengearbeitet. Ich bin Neurologe.«
»Ah ja, Ali«, fiel es ihr jetzt wieder ein, »vom Admiral-Bristol-Krankenhaus. Die Aphasie-Patientin …«
»Verletzung des motorischen Sprachzentrums, ja«, sagte er. »Sie haben sie zur Therapie überwiesen. Sie macht Fortschritte.«
»Gut …« Warum er sie wegen dieser armen Frau um ein Uhr nachts anrief, wie sie mit einem Blick auf die Uhr feststellte, konnte Zelfa sich allerdings nicht erklären.
»Ali …«
»Zelfa, ich rufe an, weil Ihr Mann ins Admiral-Bristol-Krankenhaus eingeliefert worden ist.«
»Mehmet!« Schlagartig war sie hellwach.
»Es besteht kein Grund zur Sorge.«
Dieser verdammte Beruf! Hatte sie ihm nicht tausendmal gesagt, dass es eines Tages so kommen würde? Hatte sie nicht immer mit der Furcht gelebt, dass eines Nachts all ihre Ängste und schlimmsten Befürchtungen wahr werden würden? Von wegen kein Grund zur Sorge!
»Inspektor Süleyman hat eine Kopfverletzung erlitten«, fuhr Dr. Okazin ruhig fort. »Nichts Ernstes.«
»Was soll das heißen? Hat er eine Schädelfraktur? Ist er bei Bewusstsein?« Ihr Herz schlug jetzt so schnell, dass sie kaum atmen konnte. Mehmet! Und sie hatte sich bei ihrem letzten Gespräch am Abend aufgeführt wie eine dumme Kuh! Oh Jesus, Maria und Josef!
Okazin räusperte sich. »Er hat keine Schädelverletzung erlitten, ist jedoch zur Zeit ohne Bewusstsein. Aber er wird wieder zu sich kommen.«
»Ach ja? Und woher wissen Sie das?«
»Nun«, sagte er und räusperte sich ein weiteres Mal geräuschvoll, »ich bin sehr zuversichtlich …«
»Ich möchte ihn selbst sehen«, erklärte Zelfa entschlossen. »Sofort.«
»Das wird nicht möglich sein, Zelfa.«
»Ich bin seine Frau!«
»Ja, aber …«
Trotz ihrer Panik entging Zelfa nicht, dass eine Hand über die Sprechmuschel von Okazins Hörer gelegt wurde. Sie meinte sogar, den Klang gedämpfter Stimmen zu hören. Gedämpfter, wütender Stimmen. Einen Patienten aus einem Gespräch auszuschließen, war unter Ärzten natürlich nicht unüblich; vielleicht sprach der Neurologe ja auch mit einem Kollegen. Doch dann hätte er Zelfa als Fachärztin die Möglichkeit der Mitsprache geben sollen – selbst wenn der Patient ihr Mann war.
»Ali«, sagte sie scharf. »Was ist los?«
Weitere Sekunden verstrichen mit gedämpften Hintergrundgeräuschen, bevor Okazin sich wieder meldete. »Kommen Sie morgen früh vorbei«, sagte er. »Dann kann er auch wieder mit Ihnen sprechen.«
»Ich will ihn aber sofort sehen!«
»Man wird Sie nicht zu ihm lassen«, erwiderte der Neurologe bestimmt. »Ich trage die Verantwortung für seine Gesundheit, und so lautet meine Entscheidung.«
Zelfa wusste, dass es zwecklos war, einer solchen ärztlichen Anordnung zu widersprechen; sie hatte gegenüber Angehörigen von Patienten schon häufig ähnlich gehandelt. Trotzdem wurmte und schmerzte es sie. Mehmet war verletzt, und sie wollte bei ihm sein, egal ob er bei Bewusstsein war oder nicht.
»War er allein, als man ihn eingeliefert hat?«
»Zu seiner Einlieferung kann ich nichts sagen«, erklärte Okazin ein wenig schroff, wie Zelfa fand. »Aber es geht ihm gut, sein Zustand ist stabil, und Sie können ihn morgen früh besuchen.«
Zelfa seufzte. »In Ordnung.«
»Jetzt muss ich
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