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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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ihrer Erscheinung einen reizvollen Kontrast zu diesem fetten, großmäuligen Weibsstück bilden würde, das ihr jüngerer Sohn geheiratet hatte. Sie verstand bis heute nicht, was ihren wunderschönen Mehmet dazu veranlasst hatte, solch eine ältliche und gewöhnliche Frau auch nur in Erwägung zu ziehen. Aber andererseits schienen ihre beiden Söhne ein Faible für unziemliche Verbindungen zu haben, Mehmet mit seiner seltsamen, ausländischen Intellektuellen und Murad mit seiner griechischen Gemüsehändlerstochter, die – selbst nach ihrem bedauerlichen Tod – immer noch großen Einfluss auf ihn ausübte, und zwar in Form ihrer aufdringlich lauten griechischen Verwandtschaft. Es war wirklich eine Schande, dass zwei junge Männer aus gutem Hause ihr Leben derart vergeudeten. Immerhin bestand noch Hoffnung bei den Enkelkindern: Edibe war ein sehr hübsches und einnehmendes kleines Ding, und der junge Yusuf İzzeddin würde einfach perfekt werden – trotz seiner Mutter. Zum Wohle ihrer Enkel würde Nur sich gegen ihre dummen, undankbaren Söhne durchsetzen und dafür Sorge tragen, dass beide Kinder eines Tages Geld und Ansehen heirateten. Muhammed, ihr Ehemann, der sich in solchen Dingen viel zu nachgiebig zeigte, würde sich natürlich gegen eine derartige Einmischung aussprechen, andererseits war er aber nichts weiter als ein Aristokrat mit schlichtem Gemüt, mit dem sie jederzeit fertig wurde. Oder hatte er etwa Widerspruch eingelegt, als Mehmet seine Cousine Zuleika heiratete, die einfach die perfekte Partie für ihn gewesen war? Damals hatte er zwar etwas in der Richtung gemurmelt, der Junge sei über die Verbindung nicht sehr glücklich, doch getan hatte er nichts – außer Nur die Schuld zuzuschieben, als die Ehe in die Brüche ging. Nein, in Nurs Augen waren Aristokraten fast ausnahmslos viel zu weich. Wenn Muhammed so wie sie im rauen Zentralanatolien aufgewachsen wäre, würde er den brennenden Ehrgeiz kennen, der sie bis ins Anwesen eines Prinzen geführt hatte – denn genau das war ihr gemeinsames Heim in den ersten Jahren ihrer Ehe gewesen. All das hatte sich inzwischen in Luft aufgelöst, aber ihr konnte man das nicht ankreiden. Natürlich hatte sie einiges Geld ausgegeben, doch das war nicht der wahre Grund für den Verlust des Familienvermögens. Daran waren eher die zahlreichen älteren Verwandten schuld, die Muhammed zu unterstützen versucht hatte. Alte Prinzen, die ohne fremde Hilfe nicht einmal ihre Stiefel anziehen konnten und deren Vorstellung von Arbeit sich darauf beschränkte, gelegentlich ein paar Schmuckstücke oder Antiquitäten zu verkaufen. Ihr Ehemann war aus dem gleichen Holz geschnitzt, und darin lag die eigentliche Ursache für den Niedergang der Familie. Doch ihre Enkelkinder, dachte Nur mit einem Lächeln, würden es anders machen. Trotz ihrer bourgeoisen Väter und unziemlichen Mütter floss in den Adern dieser Kinder immer noch starkes osmanisches Blut, und das würde sie weder ihre Enkel noch irgendjemand anderen je vergessen lassen.
    Nur setzte einen kleinen Pillboxhut auf ihr dichtes, gefärbtes Haar und griff dann nach einem in leuchtend buntes Papier eingeschlagenen Päckchen, das auf ihrer Frisierkommode lag. Das war ihr eigenes kleines Geschenk für ihren Enkelsohn, aus dem Carousel-Einkaufszentrum in Bakırköy: hübsche, geschmackvolle, teure Kleidungsstücke. Zusammen mit der größten Goldmünze, die man für Geld bekommen konnte und die Muhammed über seine üblichen dunklen Kreditkanäle erworben hatte, stellten diese Sachen ein Symbol für die Zukunft des kleinen Yusuf İzzeddin dar, eine Zukunft voller wunderbarer Menschen und Dinge. Auch wenn sein Vater Polizist war.
    Nach einem weiteren kurzen Lächeln in den Spiegel verließ Nur das Schlafzimmer und ging die Treppe hinunter. Ihr einst so hübscher, jetzt hohläugiger Sohn Mehmet stand in der Diele und spielte nervös mit seinen Autoschlüsseln, begierig darauf, zurück ins Krankenhaus zu seinem neugeborenen Sohn zu kommen. Als sie ihn erreichte, strich Nur ihm mit ihrer behandschuhten Hand über die Wange. Was für eine schreckliche, schreckliche Verschwendung!
     
    Kurz bevor er aufbrechen wollte, um seine Tochter abzuholen, erhielt İkmen einen beunruhigenden Telefonanruf. Obwohl seine Untersuchungen zu den Umständen von Hatice İpeks Tod noch nicht ganz abgeschlossen waren, hatte Arto Sarkissian bereits einige Schlüsse ziehen können.
    »Die Todesursache war ein Herzmuskelinfarkt«, sagte er. »Und

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