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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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anging, so war es durchaus möglich, dass sie das Gewand angefertigt hatten, das Hatice zum Zeitpunkt ihres Todes trug. Doch es erschien lächerlich anzunehmen, Fräulein Muazzez und Fräulein Yümniye hätten gewusst, zu welchem Zweck das Kleid benutzt wurde. Obwohl sie im Hause eines Mannes aufwuchsen, der als Osmane zur Welt gekommen war und in der Armee des Sultans gedient hatte, begeisterten sich die Mädchen, ebenso wie ihr Vater, für die Ideen Atatürks und entwickelten sich zu unabhängigen, emanzipierten, jungen Frauen. In Üsküdar kursierte sogar die Legende, die Mutter der beiden Schwestern sei die erste Frau in der Türkei gewesen, die ohne Schleier auf einem Fahrrad durch die Stadt fuhr. Die Familie Heper genoss höchstes Ansehen, und İkmen hatte aus Kindertagen liebevolle Erinnerungen an sie. Fräulein Yümniye hatte das Hochzeitskleid seiner Mutter genäht; er würde sich bemühen, nicht daran zu denken, wenn er den Damen das Gewand der toten Hatice zeigte. Denn wie auch immer die Wahrheit aussah, es erschien ihm ratsam, Fräulein Muazzez und Fräulein Yümniye aufzusuchen. Außerdem musste er Arto dazu bringen, ihm das Kleid zu leihen – natürlich ohne dass Ardiç davon erfuhr, denn die einzige junge Frau, mit der İkmen sich zurzeit beschäftigen durfte, war Kaycee, die im Gegensatz zur armen Hatice vielleicht noch lebte. Doch Ardiç konnte natürlich nicht wissen, dass İkmen seiner Tochter versprochen hatte, diejenigen ausfindig zu machen und zu bestrafen, die ihre Freundin missbraucht hatten. Und das würde er auch tun – Kaycee Sivas hin oder her.
     
    »Wie sieht’s aus, İskender?« Ardiç blickte nicht einmal von seinem Schreibtisch auf.
    Metin İskender setzte sich bereits, ohne dass sein Vorgesetzter ihn dazu aufgefordert hätte, ein Verhalten, das langsam zur Gewohnheit wurde.
    »Niemand redet, Chef«, meinte er und zündete sich mit einem stilvollen silbernen Feuerzeug, das seine Frau ihm geschenkt hatte, eine Zigarette an. »Nicht einmal meine zuverlässigsten Informanten wollen mir was erzählen.«
    Ardiç schaute von seinen Akten auf; die riesige Zigarre zwischen seinen Lippen schien sein breites Gesicht in zwei Hälften zu teilen. »Irgendwelche Lösegeldforderungen?«, fragte er.
    »Bis jetzt noch nicht. Wachtmeister Çöktin und die Techniker haben sämtliche Anrufe in Sivas’ Villa mitgehört, aber ohne Ergebnis. In der Post war auch nichts.«
    »Und was schließen Sie daraus?« Ardiç lehnte sich in seinem Sessel zurück. Das war seine Lieblingshaltung, denn sie verschaffte seinem Bauch mehr Platz und war daher besonders bequem.
    Metin İskender runzelte die Stirn. »Die Stille auf den Straßen macht mir Sorgen, Chef. Kaycee Sivas ist schließlich keine Unbekannte. Mit einem Hinweis an die Presse ließe sich in diesem Fall eine Menge Geld verdienen. Unter normalen Umständen müssten wir ihre Spur inzwischen längst gefunden haben.«
    »Und warum ist das Ihrer Meinung nach nicht der Fall?«
    »Also, wenn ich an meine Erfahrungen in der Vergangenheit denke, könnte ich mir vorstellen, dass eine der Familien mit der Sache zu tun hat.« İskender beugte sich vor, um die Asche seiner Zigarette in Ardiçs großen Onyxaschenbecher zu schnippen. »In Beyazıt sind verschiedene Clans aktiv, obwohl natürlich auch Familien von außerhalb in Frage kämen, aus Edirnekapı oder Yediküle …«
    »Aber hätten die nicht längst eine Lösegeldforderung gestellt?«, fragte Ardiç. »Und davon abgesehen: Wenn Hikmet Sivas und seine Verwandten nichts mit den Geschäften der hiesigen Familien zu tun haben – wovon wir im Augenblick ausgehen müssen –, woher wusste man dann, dass er und seine Frau überhaupt in der Stadt waren?«
    İskender zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Aber irgendetwas stimmt an der Sache nicht. Inspektor İkmen war den ganzen Tag über in Sivas’ Haus, und er fand sein Benehmen genauso seltsam wie ich. Beispielsweise redete Sivas dauernd davon, dass er unbedingt seinen Agenten in den USA anrufen müsse, um ihm Weisungen für sein Verhalten gegenüber der Presse dort zu geben. Also haben wir es ihm schließlich gestattet. Doch als er den Mann – ich glaube, sein Name war Gee – endlich an der Strippe hatte …«
    »Ja? Was dann?«
    İskender zuckte erneut die Achseln. »Nichts. Er erzählte ihm nur, dass in seinem Leben alles schief gelaufen sei und die Istanbuler Polizei ausschließlich aus Idioten bestehe.«
    »Glauben Sie, Sivas hat das Ganze selbst

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