Im Gewand der Nacht
inszeniert? Vielleicht mit Unterstützung aus den Vereinigten Staaten?«
»Ich weiß es nicht. Aber wenn man bedenkt, dass er und seine Frau laut eigener Aussage keinerlei Feinde haben und dass zudem weder Lösegeld verlangt worden ist noch irgendwelche anderen Forderungen gestellt wurden, dann drängt sich einem der Schluss auf, dass irgendetwas faul ist. Denn ganz egal, wer die Täter sind: Warum die Frau entführen, wenn man nicht vorhat, sie als Druckmittel einzusetzen?«
»Meinen Sie denn, Sivas wäre in der Lage, ein solches Verbrechen zu organisieren?«
»Genug Geld hat er mit Sicherheit, wenn ich mir auch nicht vorstellen kann, warum er den Wunsch haben sollte, sich einer solch hübschen Frau zu entledigen. Hinzu kommt, dass er allem Anschein nach völlig verzweifelt ist.«
»Dann sollten wir vielleicht versuchen, neben der Fortführung unserer Operationen auf der Straße und in Hikmet Sivas’ Haus etwas mehr über die Person des Schauspielers in Erfahrung zu bringen. Damit meine ich natürlich Dinge, die nicht in den Zeitungen stehen.« Ardiç zündete seine inzwischen erloschene Zigarre wieder an. »Wir alle wissen, dass er der einzige große Hollywoodstar türkischer Herkunft ist. Wenn ich mich recht erinnere, wurde er früher sogar Sultan genannt.«
Ardiç lächelte. »Aber es kann in seinem Leben schließlich nicht nur Geld und Ruhm gegeben haben. Er muss Freunde haben, Exfrauen, diesen Agenten … Wenn ich das richtig sehe, İskender, haben wir es mit einem außergewöhnlichen Menschen zu tun. Schließlich ist es schon für Amerikaner schwer genug, in Hollywood den Durchbruch zu schaffen. Aber für einen Türken …« Er zuckte die Achseln.
»Wollen Sie damit sagen, dass die Bosse in Hollywood uns nicht besonders mögen?«
»Vergleichen Sie nur mal die Zahl der türkischen Namen mit der Zahl der Namen anderer Ausländer, die in Hollywoodfilmen mitwirken. Das Verhältnis ist nicht gerade ausgewogen«, sagte Ardiç. »Ich denke, ich werde İkmen damit beauftragen. Er ist gut darin, die Vergangenheit anderer Leute zu durchleuchten. Ach ja, wie verläuft denn eigentlich Ihre Zusammenarbeit mit Inspektor İkmen, İskender?«
»Schwer zu sagen, Chef. Heute waren wir mit völlig verschiedenen Sachen beschäftigt; da blieb kaum Zeit zur gemeinsamen Beratung.«
Metin İskenders Antwort war ebenso wahrheitsgetreu wie diplomatisch, das wussten sie beide. Bisher hatte İskender nur selten mit İkmen direkt zu tun gehabt, aber es war allgemein bekannt, dass ihre Methoden unterschiedlicher nicht hätten sein können. Wo İkmen sich Zeit ließ und beim Umgang mit Zeugen wie Verdächtigen große Geduld bewies, bevorzugte İskender eine wesentlich direktere und nicht immer sanfte Vorgehensweise. In einer Welt, in der vor allem schnelle Erfolge zählten, war İskender auf den ersten Blick zweifellos der effektivere Polizist. Aber İkmen hatte ebenfalls gute Ergebnisse vorzuweisen, vor allem in Fällen wie diesem, die Fingerspitzengefühl erforderten oder deren Aufklärung sich hinzog. Und die seltsamen Eingebungen, die der Ältere gelegentlich hatte, stellten sich verblüffenderweise oft als zutreffend heraus. Ganz gleich, was Ardiç persönlich von solchen übersinnlichen Kräf te hielt, so musste er doch zugeben, dass sie gelegentlich überaus nützlich sein konnten. Andererseits war dies nur einer von vielen Punkten, über die İkmen und İskender sich in Zukunft streiten konnten, daher erschien es Ardiç ratsam, den beiden möglichst unterschiedliche Aufgaben zuzuteilen.
»Wir haben morgen früh eine Besprechung«, sagte er und wandte sich wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch zu. »Bis dahin werde ich entscheiden, welche Aufgaben ich von Ihnen erledigt haben möchte.«
»Jawohl.«
Ohne ein weiteres Wort bedeutete Ardiç seinem Besucher, ihn allein zu lassen. Nachdem er schweigend einige Minuten gearbeitet hatte, erhielt er einen Anruf aus dem Präsidium der Staatspolizei in Ankara. Er telefonierte relativ lange, wobei er die meiste Zeit zuhörte, was seine Vorgesetzten zu sagen hatten. Der Ruf zum Abendgebet war längst verklungen, als er schließlich den Hörer auflegte.
10
Hülya İkmen hatte gerade die Wohnungstür hinter sich zugezogen, als sie Hürrem İpek im Hausflur erblickte. Ihr Gesicht war kreidebleich, ihre Augen rot und geschwollen vom vielen Weinen, und statt ihrer übliche Zabita-Uniform trug sie dunkle Kleidung und ein dickes, schwarzes Kopftuch.
»Dr. Sarkissian hat mir
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