Im Gewand der Nacht
den Salon betreten hatte, die Wunde mit unverhohlener Sorge betrachtete. Und dann war da noch dieser Besucher – İkmen konnte sich zwar nicht mehr an seinen Namen erinnern, aber als der junge Mann die Treppe herunterkam, die zu den Schlafzimmern im Obergeschoss führte, erkannte er ihn als einen von Zelfas Kollegen. Babur Halman ging auf den Psychiater zu, um mit ihm zu reden, und obwohl Mehmet die Tür schloss, nachdem sein Schwiegervater den Raum verlassen hatte, konnte İkmen hören, wie die beiden Männer noch lange miteinander sprachen.
Doch andererseits war Mehmet ein Osmane – jemand, der sein Privatleben mit Mauern umgab. Das war sein gutes Recht und seine eigene Entscheidung, also ignorierte İkmen die eigenartige Atmosphäre und informierte ihn über die Hintergründe seiner plötzlichen Beurlaubung.
»Irgendjemand hat Ardiç befohlen, mich von dem Fall Sivas abzuziehen, da bin ich mir ganz sicher!« İkmen lehnte sich in Baburs ausgeblichenem Ohrensessel zurück und steckte sich eine Zigarette an. »Er ist nach Ankara gefahren, um mit seinen Vorgesetzten zu sprechen. Und dort muss man ihn instruiert haben.«
»Sivas ist ein Hollywoodstar, Çetin«, sagte Mehmet vorsichtig. »Und wir beide wissen, wie die Dinge bei den Amerikanern laufen.«
»Du meinst, dass der Rest der Welt vor ihnen Männchen machen muss.«
»Genau – weil der Rest der Welt ihnen nämlich entweder Geld oder Gefälligkeiten schuldet.« Süleyman lächelte. »Wahrscheinlich wollten sie jemand ganz Jungen, der nicht raucht.«
»Metin İskender raucht!«, gab İkmen scharf zurück.
»Stimmt, und das bedeutet, dass er möglicherweise jemandem zuarbeiten muss. Einem Mann aus Ankara vielleicht.«
»Ein Türke, der nicht raucht?« İkmen schüttelte ungläubig den Kopf. »Abgesehen von dir während deiner ersten Zeit als Polizist habe ich noch nie ein solches Exemplar gesehen. Das ist doch lächerlich!«
Süleyman zuckte die Achseln. »Egal, ob lächerlich oder nicht, Çetin, du musst es akzeptieren.«
»Wenn ich doch nur einmal mit den Amerikanern hätte reden können …«
»Ja, aber Ardiç hat das nicht zugelassen, richtig?« Süleyman rieb sich müde über die Stirn. »Abgesehen davon: Falls Sivas tatsächlich Verbindungen zur Mafia hat, ist das Sache der Amerikaner. Wir haben hier genug Ärger mit unseren eigenen Familien, da brauchen wir nicht auch noch importierte Mörder aus New York oder Chicago oder sonst wo.«
İkmen fühlte sich auf einmal völlig ausgelaugt und schloss die Augen. Er wusste, dass er eigentlich im Polizeipräsidium sitzen und den Bericht über den Fall Sivas fertig stellen sollte. Schließlich waren seine Ermittlungsergebnisse für Ardiç und/oder denjenigen, dem der Fall nun übertragen wurde, durchaus von Wert. Geheime Tunnel, Gerüchte über Mafiakontakte, der seltsame und schnelle Aufstieg eines jungen Mannes aus Istanbul zum internationalen Filmstar, und das in einem Land, in dem offenkundig niemand Türken mochte …
»Suzan Şeker hat dir also erzählt, dass ihr Mann die Müren-Brüder bezahlte«, sagte İkmen und kam damit abrupt auf seinen anderen ehemaligen Fall zu sprechen. Schließlich musste er seine grauen Zellen mit irgendetwas beschäftigen, wenn er sich schon nicht mehr mit Hikmet und Vedat Sivas befassen durfte.
»Allerdings ist sie nicht bereit, das auch offiziell zu Protokoll zu geben«, erwiderte Süleyman finster. »Zu Anfang war sie sehr tapfer und entschlossen, doch dann hat sie ihre Meinung geändert. Sie rief mich an, und ich sagte ihr, du wolltest mit den Mürens reden, aber das schien sie nicht zu beeindrucken. Ich glaube, Frau Şeker will da weitermachen, wo ihr Mann aufgehört hat. Um ehrlich zu sein, bleibt ihr auch kaum eine andere Wahl.«
İkmen seufzte. »Wenn wir nicht langsam damit anfangen, die organisierte Kriminalität in dieser Stadt zu bekämpfen, verlieren wir hier noch völlig die Kontrolle.«
»Oh ja, und das tun wir, indem wir einen Krieg gegen die Müren-Familie beginnen, nicht wahr?« Süleyman erhob sich und ging aufgebracht im Salon hin und her. »Çetin, wir wissen doch überhaupt nicht, ob die Mürens etwas mit dem Tod von Hatice İpek zu tun haben.«
»Ratte hat mir erzählt, dass die Familie bei einem Prostitutionsring mitmischt.«
»Ratte!« Süleyman nahm ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und steckte sich eine an. »Der ist doch verrückt!«
»Er hat mir auch erzählt, dass zwei Schneiderinnen aus meinem alten Viertel, die
Weitere Kostenlose Bücher