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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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Allahs Hilfe würden diese Schwierigkeiten schnell vorübergehen. »Kein Problem«, sagte er. »Kümmere dich um deine Familie.«
    »Es tut mir Leid, Çetin …« Süleyman wich seinem Blick aus.
    »Das muss es nicht.« İkmen beugte sich vor und legte seine kleine Hand auf Süleymans Schulter. »Kümmere dich um die Lebenden – um deine Frau und deinen Sohn.« Dann griff er mit der anderen Hand in seine Jackentasche und zog ein kleines, glänzendes Kästchen hervor. »Gib ihm das«, sagte er und erhob sich, »ich kümmere mich um die Toten.« Damit verließ er den Raum.
    Süleyman, dem Zelfas Anschuldigungen und Wahnvorstellungen mittlerweile sehr zusetzten, blieb sitzen und fühlte sich einfach nur überfordert. Später öffnete er das kleine Kästchen und fand darin eine nicht allzu große Goldmünze aus der Regierungszeit Sultan Abdülmecits, dessen Blut auch in seinen Adern und denen seines Sohnes floss. Er fragte sich, ob İkmen sich eine solche Münze überhaupt leisten konnte, und musste lächeln.
16
    Als İkmen zur Polizeiwache zurückkehrte, war die Sonne bereits untergegangen. Mit halbem Ohr hatte er den Aufruf zum Abendgebet wahrgenommen, während er seinen halbwüchsigen Kindern wegen des erschreckenden Zustands der Wohnung eine Standpauke hielt. Doch dann ließ er alles so, wie er es vorgefunden hatte, und machte sich auf den Weg zur Wache, um den Bericht für Ardiç zu schreiben und darüber nachzudenken, was er mit seinem »Urlaub« anfangen und wie er seine Ermittlungen im offiziell abgeschlossenen Fall İpek vorantreiben sollte. Natürlich konnte er schlecht allein weitermachen, andererseits wollte er aber auch nicht, dass Tepe ihn unterstützte – der Mann, dem man im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen Hassan Şeker zumindest Nachlässigkeit vorwerfen musste, wenn nicht sogar … Vielleicht war es besser, nicht darüber nachzudenken, wie viele der Polizisten, mit denen İkmen im Laufe der Jahre zu tun gehabt hatte, finanzielle Beziehungen zur Unterwelt unterhielten. Außerdem schien Tepe inzwischen direkt Ardiç unterstellt zu sein. Vielleicht wollte der Polizeipräsident ihn in seiner Nähe haben, um ihn besser im Auge behalten zu können. Denn so leicht ließ Ardiç sich nichts vormachen, auch wenn er zurzeit eine Marionette in den Händen gesichtsloser Wesen aus Ankara oder sogar Washington zu sein schien.
    »Möchten Sie einen Tee, Inspektor?«
    İkmen schaute auf und erblickte das blasse Gesicht von Ayşe Farsakoğlu, die im Flur vor seinem Büro stand.
    »Ja, bitte. Ein großes Glas«, antwortete er und wandte sich wieder seinem Computerbildschirm zu, der ihm nur allzu deutlich vor Augen führte, dass es bis zum Abschluss seines Berichts noch eine Menge zu tun gab. İkmen seufzte. Er hatte während seiner Besuche im Haus von Hikmet Sivas einige Entdeckungen gemacht, doch über den Mann selbst hatte er so gut wie nichts herausgefunden.
    Sein Mobiltelefon klingelte. İkmen nahm den Anruf mit einem Grunzen entgegen.
    »Hier ist Cohen«, sagte eine kratzige Raucherstimme. »Ich dachte, ich rufe besser mal an, weil Sie die Dame doch kannten …«
    »Welche Dame? Wovon sprechen Sie, Cohen?« İkmen war einfach zu müde, um sich Cohens Klatsch anzuhören. Andererseits hatte er Mitleid mit dem ehemaligen Polizisten; wenn er selbst bei dem Erdbeben beide Beine verloren hätte, würde er sich seine Zeit vielleicht auch mit Klatschgeschichten vertreiben. Aber jetzt war einfach ein schlechter Moment dafür.
    »Die Schneiderin«, sagte Cohen. »Muazzez Heper. In der Unterführung beim Bahnhof Cankurtaran von einem Auto überfahren und getötet.«
    İkmen spürte, wie seine Nackenhaare sich aufrichteten. »Sind Sie sicher?«
    »Avcı hat es mir erzählt«, sagte Cohen. »Muss etwa zur Mittagszeit passiert sein. Der Fahrer ist nicht stehen geblieben, sondern einfach abgehauen. Dieses Fräulein Muazzez war allein. Ein Mann, der gerade aus dem Bahnhof kam, hat ein weißes Auto gesehen, aber er konnte die Marke nicht erkennen. Muazzez und Yümniye Heper haben das Hochzeitskleid für meine Esther genäht.«
    »Sie sind ganz sicher, dass es Muazzez und nicht Yümniye war?«, fragte İkmen. Was hatte eine blinde Frau so weit von zu Hause entfernt und noch dazu in diesem Viertel zu suchen?
    »Oh ja,« erwiderte Cohen, »absolut sicher. Einfach tragisch.«
    Ja, und Furcht einflößend, dachte İkmen. Als er Muazzez Heper das letzte Mal gesehen hatte, war sie ihrer Schwester Yümniye wegen jenes

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