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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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den General vor der Schande bewahrt.
     
    İkmen sah, wie Ardiç im Garten ein paar Worte mit İskender wechselte, der gerade auf dem Weg nach Hause war und vermutlich noch weniger geschlafen hatte als İkmen. Hikmet Sivas’ Möbel waren zwar elegant, aber nicht sehr bequem, und beide Männer hatten sich die ganze Nacht unruhig hin und her gewälzt, während sie gleichzeitig mit einem Ohr nach dem Telefon und verdächtigen Geräuschen im Haus lauschten. Das Letzte, was İskender jetzt brauchen konnte, war Ardiç, der offensichtlich keine Zeit in Ankara vertrödelt hatte.
    İkmen nahm das kleine Glas Tee, das ihm einer der jungen Polizisten reichte, und setzte sich. Çöktin, der inzwischen ebenfalls nach Hause gegangen war, hatte am Abend zuvor im Yıldız-Palast nichts von Bedeutung herausgefunden. Das Personal kannte nicht nur Vedat Sivas, sondern wusste auch, wer sein Bruder war. Als Vedat vor vierzig Jahren dort angefangen hatte, war er jeden Tag zum Dienst erschienen; heute kam er nur noch einmal pro Woche. Er pflegte keinen allzu engen Kontakt mit seinen Kollegen und behielt seine Meinung meistens für sich, was vielleicht mit seinem berühmten Bruder zu tun hatte. İkmen bezweifelte, dass auch nur einer von Vedats Kollegen annähernd so luxuriös lebte wie er.
    Ein ungeduldiges Räuspern hinter ihm verriet İkmen, dass Polizeipräsident Ardiç den Raum betreten hatte. Er drehte sich um und erblickte Tepe, der blass und nervös in Ardiçs beträchtlichem Schatten stand.
    »Sie sehen aus wie ein Landstreicher«, sagte Ardiç missbilligend, als er auf İkmen zuging und sich neben ihn setzte.
    »Ich habe letzte Nacht nicht besonders viel geschlafen«, erwiderte İkmen.
    Ardiç wandte sich an Tepe. »Das wäre alles. Kümmern Sie sich sofort darum.«
    »Jawohl, Herr Polizeipräsident.« Tepe machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
    »Was soll er tun?«, fragte İkmen mit einer Kopfbewegung in Richtung seines hinauseilenden Mitarbeiters.
    »Dafür sorgen, dass draußen keine Presseleute herumlungern«, sagte Ardiç.
    »Ich dachte, Sie hätten eine Nachrichtensperre ausgehandelt.«
    »Das habe ich auch, aber Sie wissen ja, wie die sind. Wir können uns keine Schnitzer erlauben. Niemand darf wissen, was hier vor sich geht. Für die Welt da draußen ist Sivas hier in seinem Haus.«
    »Und wenn ihn irgendjemand auf der Straße sieht?«, hakte İkmen nach.
    »Das wird nicht passieren, oder, İkmen?!« Ardiç zündete sich eine seiner dicken kubanischen Zigarren an und lehnte sich in dem schweren Polstersessel zurück. »Schließlich ist er verschwunden.«
    »Irgendjemand könnte ihn sehen«, murmelte İkmen und steckte sich eine Zigarette an, die viel zu lange lose in seiner Jackettasche gelegen hatte. »Es wäre möglich.«
    Ardiç hustete. »Ob ihn nun jemand sieht oder nicht, betrifft Sie nicht, İkmen. Nicht mehr.«
    İkmen kniff die Augen gegen den beißenden Qualm der ausgetrockneten Zigarette zusammen; dann beugte er sich vor und zog die Brauen hoch.
    »Ich verstehe nicht ganz.«
    »Ich möchte, dass Sie nach Hause gehen und ein paar Tage Urlaub nehmen.« Ardiç rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her und versuchte, eine bequemere Position für seinen dicken Bauch zu finden. »Die nächste Zeit arbeite ich mit İskender zusammen.«
    »Aber ich möchte keinen Urlaub …«
    »Das ist ein Befehl, İkmen«, sagte Ardiç in dem leisen, drohenden Ton, den er nur dann einsetzte, wenn er es absolut ernst meinte. »Gehen Sie nach Hause, besuchen Sie Ihre Kinder, essen Sie mal was Vernünftiges. Sie sehen ja noch abgemagerter aus als sonst.«
    »Ich esse nicht, wenn ich viel zu tun habe – ich kann einfach nicht.« İkmen senkte den Kopf und fragte erneut: »Warum?«
    »Weil ich es Ihnen sage«, erwiderte Ardiç sanft. »Weil es sein muss.«
    İkmen blickte auf. Das war doch nicht Ardiçs Idee; irgendjemand hatte es ihm befohlen. »Wer hat Ihnen den Auftrag erteilt, mich loszuwerden? Sie sind gerade aus Ankara zurückgekommen …«
    »Ich brauche einen Bericht zu diesem Fall«, wechselte Ardiç ungerührt das Thema.
    Wütend richtete İkmen sich auf. »Wird gemacht«, sagte er, »obwohl Metin und ich uns in letzter Zeit aneinander gewöhnt haben und er auf dem neuesten Stand ist.«
    »Schreiben Sie trotzdem einen Bericht, İkmen. Fahren Sie ins Büro, schreiben Sie Ihren Bericht und gehen Sie anschließend nach Hause. Sie haben noch so viel Urlaub ausstehen, dass es fast nicht mehr nachzuhalten ist.« Er

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