Im Gewand der Nacht
tot?«
»Anscheinend nicht.« Süleyman ließ den Kopf auf die Brust sinken. »Ich habe gehört, dass er sich bester Gesundheit erfreut.« Er schaute wieder hoch und deutete mit seiner Zigarette auf İkmen. »Und er ist wirklich gefährlich. Metin İskender hat vor ein paar Jahren versucht, ihn festzusetzen. Er und sein Team, zu dem meines Wissens auch Tepe gehörte, arbeiteten fast sechs Monate daran, Schiwkow und seine Bande zu fassen. Doch als sie schließlich sein Versteck stürmten, war es leer – bis auf den aufgespießten Kopf von Nina, der Frau des Bulgaren. Sie war İskenders Informantin gewesen.«
»Metin hängt die Sache immer noch nach, zumindest lässt seine Reaktion auf den Fund in Hikmet Sivas’ Schlafzimmer darauf schließen. Gibt es denn irgendeine Verbindung zwischen Schiwkow und den Müren-Brüdern?«
Süleyman zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber möglich wäre es. Wie alle diese Leute sind auch die Mürens schwer zu finden, wenn man sie sucht – wir könnten versuchen, sie beschatten zu lassen. Natürlich kannst du sie auch einfach fragen, Çetin.«
»Jetzt ist nicht die richtige Zeit für Witze, Mehmet.« İkmen schüttelte den Kopf und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Ich meine das durchaus ernst«, erwiderte Süleyman. »Wenn es dir gelingt, sie zu verhaften, oder wenn du eine Möglichkeit findest, sie auf die Wache zu locken, könntest du sie meiner Meinung nach zum Reden bringen.« Als er den verwirrten Ausdruck auf İkmens Gesicht bemerkte, fügte er hinzu: »Ich spreche von Alev Müren, Çetin. Du weißt schon – die kleine Ausgeburt der Hölle.«
»Oh!«
Süleyman sah İkmen an und musste lächeln. »Hol dir Alev, und die Jungs werden ihr folgen. Es dürfte nicht allzu schwer sein, sie ist nämlich nicht in der Lage einzukaufen, ohne zumindest die Hälfte der Waren einfach mitgehen zu lassen.«
»Ich muss also nichts anderes tun, als mich in Einkaufszentren herumzutreiben?«
»Gib einem der jüngeren Beamten den Auftrag, ihr in die Galeria oder ins Akmerkez zu folgen«, sagte Süleyman und bezog sich damit auf zwei der beliebten neuen Einkaufszentren amerikanischen Zuschnitts in Istanbul. »Alev Müren hat einen Modefimmel, sie kauft von morgens bis abends ein. Und der liebe Herr Papa versorgt sie mit dem nötigen Kleingeld. Doch wenn das nicht ausreicht, stiehlt sie. Sie hat schon Geschäfte in der ganzen Stadt bestohlen. Du kannst sie allein aufgrund ihres schlechten Rufs aufs Revier mitnehmen.«
»Und dann?«, fragte İkmen.
»Sobald ihre Brüder wissen, dass wir sie verhaftet haben, werden sie bei uns auftauchen«, sagte Süleyman. »Und sie werden versuchen, jeden Beamten zu kaufen, der ihnen über den Weg läuft. Wenn sie bei dir im Büro sitzen, mach ihnen einfach klar, dass du die liebe Alev dieses Mal nicht freilassen wirst. Du könntest ihnen auch zu verstehen geben, dass du Gefallen an ihr gefunden hast.«
»Was für eine entsetzliche Vorstellung«, sagte İkmen, der sich an das plumpe, selbstgefällige Gesicht von Alev Müren erinnerte.
»Wenn sie befürchten, Alevs Ehre könnte in Gefahr sein, reden sie vielleicht«, meinte Süleyman. »Der alte Ali Müren würde die beiden Jungs umbringen, wenn er auch nur den leisesten Grund zu der Annahme hätte, dass man seiner kleinen Tochter ein Leid antun wollte und sie es nicht verhindert haben. Dann kannst du sie nach den anderen Familien fragen.«
»Du glaubst wirklich, dass sie mir etwas über den Bulgaren erzählen?«, fragte İkmen zweifelnd.
Süleyman zuckte die Achseln. »Es wäre zumindest denkbar. Wenn diese Familie eine Achillesferse hat, dann ist es das grässliche Mädchen. Und außerdem, Çetin, was haben wir sonst noch?«
Im Grunde hatten sie nichts, jedenfalls nichts Greifbares – nur Gerüchte, Andeutungen und die Eingebungen des eigenen Instinkts. Das einzig Fassbare war ein unter schrecklichen Umständen vergewaltigtes Mädchen, dessen Leichnam in einer Zisterne entdeckt worden war und dessen Mutter und Schwester vor Trauer nicht mehr aus noch ein wussten. İkmen spürte, wie seine Augen zu brennen begannen.
»Es gibt nur ein Problem: Eigentlich bin ich beurlaubt«, sagte er und schaute Süleyman fragend an.
»Leider muss ich meinen eigenen Urlaub noch ein wenig verlängern, Çetin.« Der jüngere Mann hob abwehrend die Hände.
»Zelfa braucht immer noch, ähm, sie ist nicht, ich meine …«
İkmen lächelte. Also hatte Zelfa Probleme. Das kam bei manchen Frauen vor. Doch mit
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