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Im Gewand der Nacht

Im Gewand der Nacht

Titel: Im Gewand der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Nadel
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kurz danach sehen. Ziehen Sie die Bluse aus«, sagte er.
    Ihr verweintes Gesicht wandte sich ihm ruckartig zu. »Nein!«
    »Das ist ein Befehl!«, herrschte İkmen sie an. »Sie können die Bluse ausziehen oder Ihre Stelle verlieren, das liegt ganz bei Ihnen. Ich werde schon nicht versuchen, einen Blick auf Ihre Brust zu werfen, ich will mir nur Ihren Rücken ansehen.«
    »Nein!«
    »Na los!« Er legte ihr warnend eine Hand auf die Schulter und drückte ganz leicht zu. »Bitte.«
    Sie schluchzte immer lauter. Mit jedem Knopf, den sie öffnete, wurden ihr Schmerz und ihre Scham größer. Und dann hatte sie endlich die Bluse über die Schultern gestreift und stand vornübergebeugt da, die Hände schützend vor ihre Brust gelegt.
    Als İkmen die Streifen und Furchen auf ihrem Rücken betrachtete, stieg kalte Wut in ihm auf. Er war schon früher Männern begegnet, denen es Vergnügen bereitete, einer Frau so etwas anzutun, und jedes Mal hatte er das Bedürfnis verspürt, sie windelweich zu schlagen. Aber dann hätte er sich mit ihnen auf eine Stufe gestellt, deshalb hatte er niemals die Hand erhoben – eine Tatsache, für die er berühmt war. Doch im Augenblick musste er die Hände hinter dem Rücken falten, um sich zu beherrschen, so wütend war er.
    »Hat Orhan Tepe Ihnen das angetan?«, fragte er leise.
    Sie drehte ihm ihr Gesicht zu, sagte aber nichts. Doch er kannte die Antwort.
    »Oh Ayşe«, meinte er traurig. »Sie dummes kleines Mädchen.«
     
    Orhan Tepe würde İkmen genauso wenig weglaufen wie der halb fertige Bericht – beides konnte warten. Abgesehen davon, dachte İkmen, konnte er Tepe schlecht in Gegenwart seiner Frau zur Rede stellen. Vielleicht verprügelte er sie ja auch? Alte osmanische Sitten überdauerten nun einmal hartnäckig – das wusste İkmen nur allzu gut. So viele Leben waren von Mauern umgeben. Auch wenn sich diverse Staatsminister in schicken Anzügen öffentlich noch so sehr über die Schrecken der häuslichen Gewalt erregten und verkündeten, die Züchtigung von Frauen habe in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr, würde es immer Männer geben, die sich nicht darum kümmerten; selbst in den am weitesten entwickelten Gesellschaften war dieses Phänomen bekannt. Er konnte nur hoffen, dass Ayşe Farsakoğlu sich, wie versprochen, in Zukunft von Tepe fern hielt, ihm den teuren Schmuck zurückgab, den er für sie beschafft hatte, auf die Mahlzeiten in schicken Restaurants verzichtete und sich wieder in das verwandelte, was sie einmal gewesen war: eine junge Frau, unglücklich verliebt in Süleyman, der sich seinerseits nur noch für seinen neugeborenen Sohn interessierte. Ein wahrer osmanischer Patriarch, zumindest in den verständnislosen Augen seiner Frau Zelfa. Was für ein Durcheinander.
     
    İkmen sah von seiner brennenden Zigaretten hoch, direkt in Yümniye Hepers tränenfeuchte Augen.
    »Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen«, sagte er. »Ohne die Wahrheit bin ich machtlos.«
    Die alte Frau schien völlig am Boden zerstört zu sein; es war ein schrecklicher Tag für sie gewesen. Sie hatte nicht nur ihre einzige Familienangehörige verloren, sondern auch ihre Seelenverwandte, ohne die ihr Leben keinen Sinn hatte. Yümniye und Muazzez, diese beiden Namen waren immer in einem Atemzug genannt worden, wie ein feststehender Begriff oder eine Zauberformel. Ohne die andere konnte keine der beiden existieren. Selbst diese schlaflosen Stunden in der Dunkelheit der schwülen, trostlosen Nacht erschienen Yümniye wie ein Affront – weil sie allein war.
    Yümniye Heper tupfte sich mit dem Taschentuch die Augen und lehnte sich in dem großen braunen Sessel zurück, der einst der Lieblingsplatz ihres Vaters gewesen war.
    »Um 1960 hatte Vaters Krankheit ein tiefes Loch in unsere Finanzen gerissen«, sagte sie traurig. »Der Vermieter drohte, uns vor die Tür zu setzen. Ich war vor Angst wie gelähmt. Aber Muazzez war aus anderem Holz geschnitzt; sie machte einfach weiter wie gewohnt.«
    Yümniye seufzte. »Es kam fast einem Wunder gleich, als sie eines Morgens nach Hause zurückkehrte – sie war die ganze Nacht fortgeblieben – und so viel Geld mitbrachte, dass wir dieses Haus hier sofort kaufen konnten.«
    »Woher hatte sie das Geld?«, fragte İkmen. »Was war passiert?«
    Yümniye lächelte traurig. »Sex, das war passiert, Çetin. Muazzez hatte im Kino einen Mann kennen gelernt. Bis zum heutigen Tag weiß ich nicht, wer es war – oder ist. Aber er bezahlte Muazzez dafür, dass

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