Im Gewand der Nacht
wunderschönen, schrecklichen Kleides wütend über den Mund gefahren. Und kurz danach hatte er wieder die seltsame Frau mit den roten Haaren gesehen, die ihn von der Gartenpforte aus anstarrte.
»Aber das Leben geht weiter«, sagte Cohen mit einem Seufzer, »vor allem für meinen Sohn und Ihre Tochter.«
İkmen, der diesem abrupten Themenwechsel nicht folgen konnte, grunzte nur.
»Oh ja«, fuhr Cohen leichthin fort, »die beiden scheinen sich in letzter Zeit ziemlich oft zu sehen. Sie und ich werden ein Auge darauf haben müssen.«
»Was meinen Sie damit?« In İkmens Augen sah alles danach aus, dass irgendjemand Muazzez Heper absichtlich überfahren und getötet hatte. Aber wer? Und warum? Doch wohl nicht wegen des Kleides?
»Nun ja, für den Fall, dass die beiden zusammen sein wollen«, sagte Cohen.
İkmen, der inzwischen begriffen hatte, wovon Cohen redete, runzelte die Stirn. Er wusste, dass Hülya Berekiah mochte, aber was war schon dabei?
»Ich kann nichts Falsches daran erkennen«, sagte er. »Berekiah ist ein sehr netter Junge.«
»Ein sehr netter jüdischer Junge, richtig«, erwiderte Cohen in scharfem Ton. »Und Ihre Hülya ist Muslimin.«
»Ach Cohen, erzählen Sie mir nicht, dass Sie plötzlich fromm geworden sind! Ich kann mich nicht daran erinnern, dass auch nur eine Ihrer Geliebten jüdischen Glaubens war.«
»Aber meine Frau Esther ist sehr fromm! Und sie ist die Mutter meiner Kinder. Seit fünfhundert Jahren lebt meine Familie hier, und nicht ein einziges Mal haben wir außerhalb unseres Glaubens geheiratet! Es ist wichtig für mich, Inspektor, genau wie für meine Frau und meine Brüder!«
Ayşe Farsakoğlu betrat İkmens Büro mit einem dampfenden Glas Tee in der Hand und stellte es vor ihn auf den Schreibtisch. Er schaute auf und lächelte sie müde an.
»Also, Cohen«, sagte er, »nun lassen Sie uns doch erst mal abwarten, wie sich die ganze Sache entwickelt. Im Augenblick mögen sich die beiden einfach nur.«
»Ja, aber was passiert, wenn mein Junge zu Ihnen kommt und Sie um Hülyas Hand bittet?«
»Nun, Cohen …«, begann İkmen.
Ayşe Farsakoğlu wandte sich zum Gehen, und er schaute ihr flüchtig hinterher.
»Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen, Inspektor!«
»Ich muss jetzt Schluss machen, Cohen«, sagte İkmen und drückte schnell auf die Aus-Taste des Telefons. »Wachtmeisterin Farsakoğlu!«
Sie drehte sich um. »Ja, Inspektor?«
İkmen erhob sich und ging um seinen Schreibtisch herum auf sie zu. »Sie haben einen Blutfleck auf dem Rücken Ihrer Bluse. Sind Sie in irgendetwas hineingeraten?«
Sie blickte ihn an. »Nein.«
»Oder hatten Sie vielleicht einen Unfall?«
Der nervöse Ausdruck in ihren Augen ließ İkmen das Schlimmste befürchten. »Ayşe?«
»Ich bin ausgerutscht«, sagte sie, »und gegen den Herd gefallen. In meiner Küche.«
İkmen versuchte, um sie herumzugehen und sich den großen Blutfleck auf ihrer Bluse genauer anzusehen, aber sie drehte sich weg.
»Wann ist das passiert?«, fragte er.
»Oh, gestern Abend …« Ganz offensichtlich hatte sie sich die Geschichte gerade erst ausgedacht.
»Sie müssen aber einen scharfkantigen Herd haben«, sagte er. »Sind Sie damit beim Arzt gewesen?«
Sie senkte den Blick. »Nein.«
»Das sollten Sie aber.« Sanft, wenn auch bestimmt fasste İkmen sie am Ellbogen und versuchte, sie so zu drehen, dass er ihren Rücken sehen konnte.
»Inspektor!«
Gegen ihren Widerstand gelang es ihm, den Fleck in Augenschein zu nehmen. Es musste sich um eine große Wunde handeln, und das Blut schien frisch zu sein. İkmen verzog das Gesicht. »Wer außer mir hat das bisher gesehen?«
»Niemand, Inspektor.« Und dann begann sie leise zu weinen. »Das geht niemanden etwas an …«
»Es geht also niemanden etwas an, dass jemand Sie verletzt hat?«, fragte İkmen.
»Nein!«
»Ayşe, hat jemand, ich meine ein Mann …«
»Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!«, fuhr sie ihn an. »Das ist nicht Ihr Problem!«
Aber İkmen hatte im Laufe seiner Dienstzeit oft genug mit häuslicher Gewalt und ihren Folgen zu tun gehabt, so dass er die Zeichen sofort erkannte. Er ließ ihren Ellbogen los, ging zur Tür und schloss sie. Als er anschließend hinter Ayşe trat, musste er tief durchatmen. Der Fleck war an einigen Stellen dunkler als an anderen und wies eine Art horizontales Muster auf, das auf mehrere längliche Wunden schließen ließ.
»Wenn Sie damit nicht zum Arzt wollen, dann lassen Sie mich wenigstens
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