Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
»Frankenstein-Lebensmitteln«, wegen Hybrid-Embryonenforschung zur Herstellung von »Frankenstein-Babys« oder wegen der Kernenergie, die zukünftigen Generationen ein Erbe aus giftigem, radioaktivem Abfall hinterlässt; solche Sorgen beruhen in den meisten Fällen auf unbegründeten Ängsten, die aus einem falschen Verständnis für die jeweils beteiligte Wissenschaft erwachsen. Nimmt man dazu noch den Glauben an Übernatürliches und Paranormales, New-Age-Therapien, Horoskope, UFOs und Entführungen durch Außerirdische oder sogar Verschwörungstheoretiker, welche die Apollo-Mondlandungen leugnen, so bleibt das Gefühl, dass die Diskussion zwischen »Vernunft und Offenbarung«, die sich in der Frühzeit des Islam abspielte, im Vergleich relativ harmlos und sogar von intellektueller Strenge geprägt war.
Dennoch bestehen in manchen Teilen der muslimischen Welt zweifellos Spannungen zwischen Wissenschaft und Religion, um die man sich kümmern muss. Wissenschaftsfeindliche Einstellungen sind in muslimischen Gesellschaften leicht zu finden und blühen heute mit Hilfe des Internets auf: Tausende von raffiniert gestalteten islamischen Websites führen angeblich den Beweis, dass der Koran den Urknall, schwarze Löcher, die Quantenmechanik und sogar die Vorstellung von der relativistischen Zeitdilatation voraussagt. Wenn ich mich darüber mit muslimischen Kollegen unterhalte, erzähle ich ihnen immer von einer faszinierenden Begegnung mit zwei Imamen, die ich vor einigen Jahren bei einer religiösen madrasa in Isfahan im Iran hatte. Beide erklärten mir das Gleiche: Der Koran ist kein Lehrbuch über Mathematik oder Physik, über Medizin oder Astronomie. Er ist ein Buch, das einer Milliarde Muslimen erklärt, wie sie leben und Gottes Wunder der Schöpfung suchen sollen, indem sie die Welt um sich herum beobachten und Wissen durch wissenschaftliche Untersuchungen erlangen. Diese Notwendigkeit steht nie im Konflikt zu ihren spirituellen Überzeugungen und bedroht sie auch nicht.
Problematisch ist, dass viele Muslime die moderne Wissenschaft für ein säkulares und sogar atheistisches Konstrukt des Westens halten; sie haben vergessen, wie viele großartige Beiträge muslimische Wissenschaftler vor 1000 Jahren leisteten. Außerdem sind sie nicht in der Lage, Wissenschaft von Religion zu trennen, und deshalb erkennen sie nicht, dass die (moderne) Wissenschaft gegenüber der islamischen Lehre gleichgültig oder neutral ist. Manche prominente islamische Autoren haben sogar die Ansicht geäußert, wissenschaftliche Fachgebiete wie die Kosmologie würden den islamischen Glauben untergraben. [220] Wissenschaft wird also angegriffen, weil sie »sich darum bemüht, natürliche Phänomene ohne Rückgriff auf spirituelle oder metaphysische Ursachen ausschließlich mit natürlichen oder materiellen Ursachen zu erklären«. Nun ja, genau darum geht es tatsächlich in der Wissenschaft, und darum sollte es auch gehen; ich kann nichts Besseres tun, als noch einmal auf den großartigen Kommentar von al-Biruni zu verweisen, den ich zu Beginn von Kapitel 12 zitiert habe.
Glücklicherweise sind solche Ansichten keineswegs allgemein verbreitet. Viele Muslime lehnen heute die Vorstellung, Wissenschaft und Religion seien unvereinbar, völlig ab. Angesichts des derzeitigen Klimas der Spannungen und Polarisierung zwischen der islamischen Welt und dem Westen ist es nicht einmal verwunderlich, dass viele Muslime ungehalten reagieren, wenn man ihnen vorwirft, sie besäßen nicht das kulturelle oder intellektuelle Rüstzeug, um mithalten zu können, wenn es um wissenschaftliche Errungenschaften geht.
Es ist entscheidend, dass Muslime wie Nichtmuslime sich an eine Zeit erinnern, in der Islam und Wissenschaft – wenn auch in einer völlig anderen Welt – nicht im Widerspruch zueinander standen. Dies ist nicht nur wichtig, damit die Wissenschaft auch in diesem Teil der Welt wieder aufblühen kann. Es ist auch einer von vielen Wegen in eine Zukunft, in der Muslime sich von der Wissenschaft nicht mehr bedroht fühlen, sondern wieder so empfinden können wie vor 1000 Jahren.
Wie ist das zu erreichen? Der erste naheliegende Schritt sind ernsthafte finanzielle Investitionen. Größere Wissenschaftsetats fordern natürlich eine größere wissenschaftliche Aktivität, und wie man nachweisen konnte, besteht in den muslimischen Staaten ein enger Zusammenhang zwischen der Zahl führender Universitäten und dem Bruttoinlandsprodukt. Viele muslimische
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