Im Haus der Weisheit: Die arabischen Wissenschaften als Fundament unserer Kultur (German Edition)
Schirmherrschaft der UNESCO schnell entwickelte. Es wird heute in Jordanien gebaut, nachdem das Land sich gegen harte Konkurrenz anderer Staaten in der Region durchsetzen konnte. Die Forschungsarbeiten, die bei SESAME stattfinden sollen, gehören in die Fachgebiete von Materialforschung, Molekularbiologie, Nanotechnologie, Röntgenbildgebung, archäologischer Analyse und klinischer Medizin. Zu den derzeitigen Mitgliedern gehören neben den Gastgebern auch Israel, die Palästinenserbehörde, Ägypten, die Türkei, der Iran, Pakistan, Bahrain und Zypern; die Gruppe wird sich voraussichtlich noch um mehrere andere Länder erweitern. Der Beginn der wissenschaftlichen Arbeit ist für 2012 vorgesehen.
Hat also die Wissenschaft in der islamischen Welt eine bessere Zukunft vor sich? Natürlich erfordert wissenschaftliche Forschung mehr als nur die neueste funkelnde Ausrüstung und politische Rhetorik. Man muss sich um die gesamte Infrastruktur des wissenschaftlichen Umfeldes kümmern, von technischen Assistenten, die wissen, wie man die Gerätschaften benutzt und instand hält, über die Entfaltung wahrer intellektueller Freiheit und einer gesunden Skepsis bis hin zu dem Mut, experimentelle Befunde in Frage zu stellen – Eigenschaften, die wir im Haus der Weisheit von Bagdad im Überfluss gefunden haben und die von Ibn al-Haytham vorbehaltlos gepredigt wurden.
Einfach nur große Geldsummen aufzuwenden wird nicht ausreichen, um in der muslimischen Welt wieder eine wissenschaftliche Kultur ins Leben zu rufen und aufzubauen. Zusätzlich muss eine klare Trennung von Wissenschaft und Theologie gewährleistet sein. Als ich kürzlich im Iran war, besichtigte ich das Royan Institute in Teheran. Dort betreibt man Forschung in den Bereichen Genetik, Behandlung von Unfruchtbarkeit, Stammzellenforschung und Klonen von Tieren in einer Atmosphäre der Aufgeschlossenheit, die in geradezu dramatischem Gegensatz zu meinen Erwartungen stand. Zu einem großen Teil sind die Arbeiten am Royan Institute therapeutisch ausgerichtet, wobei die Behandlung der Unfruchtbarkeit im Mittelpunkt steht, es war aber klar, dass auch die genetische Grundlagenforschung ein hohes Niveau hatte.
Insbesondere fiel mir auf, wie die Behörden, die über die Forschungsarbeiten wachten, offenbar mit dem ethischen Minenfeld umgingen, das sich mit Teilen der Arbeiten verband. Ich unterhielt mich mit einem Imam, der in der »Ethikkommission« des Instituts saß. Er erklärte, jedes vorgeschlagene Forschungsprojekt müsse vor seinem Komitee erläutert werden, damit gewährleistet sei, dass es nicht im Konflikt zu den Lehren des Islam steht. Deshalb unterliegen Themen wie die Abtreibung nach wie vor engen Beschränkungen (sie ist nur erlaubt, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist), Forschung an menschlichen Embryonen ist aber gestattet.
Nach der islamischen Lehre verwandelt sich der Fötus erst dann in einen vollständigen Menschen, wenn er »beseelt« wird, was zwischen dem 40. und dem 120. Tag nach der Befruchtung stattfindet. Wenn am Royan Institute an menschlichen embryonalen Stammzellen geforscht wird, spielen die Wissenschaftler also nach eigener Einschätzung nicht Gott, weil die Stammzellen aus einem viel früheren Embryonalstadium stammen. Natürlich ist es vollkommen verständlich, dass wissenschaftliche Arbeiten, die ethische Fragen berühren, sorgfältig und sensibel überdacht werden müssen, und in einem islamischen Staat wie dem Iran orientieren sich ethische Werte und moralische Fragen an der religiösen Lehre. Für uns im säkularen Westen jedoch erweckt es böse Vorahnungen, wenn die Religion darüber entscheidet, ob wissenschaftliche Arbeiten stattfinden dürfen oder nicht. Religion sollte nicht zum Leitfaden der Wissenschaft werden, und mit Sicherheit sollte sie kein Monopol auf Ethik und Moral haben. Wir haben erfahren, wie die astronomische Forschung in der islamischen Welt trotz Ibn al-Shatir allmählich im Sande verlief, nachdem sie kein Gegenstand der Wissenschaft um ihrer selbst willen mehr war, sondern nur noch eine Dienstleistung für den Islam. Das ist nicht der richtige Weg.
Der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush, heute in der islamischen Welt einer der einflussreichsten Intellektuellen, [223] wies nachdrücklich darauf hin, dass die Zensur in den muslimischen Ländern heute stärker ist als in jeder anderen historischen Epoche. Eine kulturelle Renaissance, die zu einer wissensbasierten Gesellschaft führt, ist dringend notwendig,
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