Im Haus des Wurms
dem Willen des Weißen Wurms verfallen. Diese Gänge, die Kammer des Letzten Lichts und der Verbindungstunnel zu den oberen Gängen sind jetzt leer, waren aber einmal voller Leben.«
Riess, der die Fackel hielt, schlug mit der freien Hand das Zeichen des Wurms.
»Kommt«, sagte Groff. »Diese Höhle führt über eine lange Strecke geradeaus nach unten. Aber am Ende gabelt sie sich, und wir dürfen die beiden nicht verlieren.«
Sie kamen schnell voran – Riess mit der Fackel, Groff mit der Axt und Annelyn, der immer noch das Stilett umklammert hielt. Bis auf eine Anzahl von leeren Fackelfäusten, die nach der heißen Luft aus den Ventilationsschächten zu packen schienen, war die Höhle völlig kahl. Zweimal stießen sie auf ein paar Knochen.
Ob sie von Grauns oder Menschen stammten, konnte Annelyn nicht feststellen. Schließlich gelangten sie an einen Knotenpunkt, von dem mehrere Gänge in verschiedene Richtungen weiterführten. Sie hörten wieder Vermyllars Gejammer und wußten, welcher Weg einzuschlagen war.
Die Verfolgung zog sich über eine lange Zeit hin.
Zweimal verloren sie im Labyrinth der Höhlen den Anschluß, doch jedesmal wurden sie durch das Schluchzen Vermyllars wieder auf den richtigen Weg gebracht. Annelyn zitterte bei dem Gedanken, daß sie sich nun in den wirklichen Graungängen befanden, die bis ins Unendliche hinabführten. Mit weit aufgerissenen Augen nahm er alles wahr, was vom flackernden Fackellicht beleuchtet wurde: die schwarz drohenden Öffnungen quadratischer Schächte, an denen sie vorbeikamen, die endlosen Reihen oxydierter Bronzefäuste, dicke Teppiche aus dichten Staubflocken und Höhlenabschnitte, in denen seltsamerweise überhaupt kein Staub lag. Wieder vernahm er Geräusche, die er schon in ähnlicher Form zu hören geglaubt hatte, als sie auf den Fleischbeschaffer warteten: leises Gemurmel, noch leisere Schritte, ein Knurren, das Pfeifen kalter Winde aus abseits gelegenen Schächten und ein schwaches, fernes Poltern, das die schrecklichsten Vorstellungen in ihm wach rief. Wirkliche Geräusche, Phantome oder Einbildungen eines verängstigten Gehirns
– Annelyn wußte es nicht. Er wußte nur, daß er etwas hörte. Für ihn schien sich die Dunkelheit der leeren Höhlen mit unerkanntem Leben zu füllen.
Keiner der drei sagte ein Wort. Sie wechselten so oft die Richtung, daß Annelyn längst nicht mehr wußte, welche Abzweigungen sie gewählt hatten. Der Weg ging über gewundene Treppen nach oben, über rostige Leitern mit brüchigen Sprossen nach unten in leere, schallende Schächte, über breite, schräge Rampen, durch ausgedehnte Hallen, die das Licht der Fackel schluckten, und durch Kammern mit verstaubtem, wurmstichigem Mobiliar. Sie traten in einen hohen Raum, der einer Champignonfarm glich, aber die Bewässerungskanäle waren ausgetrocknet, und in den langen, eingefallenen Gewächsbehältern klebten nur übel stinkende Pilze, die in einem teuflischen Grün schimmerten. In einer anderen Halle sahen sie dicke Behänge an den Wänden, die zu grauen Lumpen verrottet waren und bei der leichtesten Berührung auseinanderfielen.
Und immer begleiteten sie diese Geräusche. ; Als sie am Ende eines Tunnels vor eine Mauer stießen und sich daranmachten, einen runden, schwarzen Brunnenschacht hinabzusteigen, brach Groff zum ersten Mal das Schweigen. »Hier sind gar keine Grauns mehr«, murmelte er mehr im Selbstgespräch als an seine Begleitung gerichtet. »Früher war diese Gegend voll von ihnen, und jetzt ist alles leer.« Er schüttelte den Kopf, sein Gesicht schien besorgt. »Der Fleischbeschaffer geht sehr tief.«
Weder Annelyn noch Riess antworteten. Sie fanden die Sprossen an der Schachtwand und kletterten hinunter.
Unten angekommen, stießen sie auf weitere Tunnels.
Sie schienen immer mehr den Anschluß an die Verfolgten zu verlieren. Noch hörten sie Vermyllars Jammern vor ihnen, aber es wurde bald schwächer. Groff brummte ein paar unverständliche Worte, und die drei gingen zurück zur letzten Abzweigung und wählten einen anderen Gang. Aber sie hatten nur wenige Schritte zurückgelegt, als das Geräusch völlig verstummte.
Wieder kehrten sie um und schlugen einen anderen Weg ein. Doch der erwies sich als zugemauert.
»Wir waren auf der richtigen Spur«, sagte Groff, als sie wieder vor der Abzweigung standen. »Obwohl es der Weg war, auf dem das Geräusch leiser wurde.« Er führte sie weiter, und kurz darauf hörten sie Vermyllars Stimme wieder. Aber je weiter sie
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