Im Heimlichen Grund
der Beobachter unten am Fuß.
Peter war wie im Fieber. Er wußte nicht, was er wollte; den Böcken jetzt nachjagen, wäre ja zwecklos gewesen. Heimwärts drängte es ihn, auf dem kürzesten Wege. Und so führte er Eva nicht wieder zum Moor zurück, sondern an der Südwand entlang, so schnell es ging.
Allmählich aber zwang grobes, dem Felsen vorgelagertes Gestein die Wanderer langsam zu gehen. Sie gerieten in einSteinkar, auf dem Flechten, Bärlapp und Moos gediehen. Wacholderbüsche, steifes, spärliches Gras, Enzian, Brombeerstauden und verblühte Alpenrosen wucherten zwischen verwitterten Steintrümmern; schlanke Bergeidechsen sonnten sich auf durchwärmten, moosigen Blöcken oder huschten erschrocken durch das verblühte Heidekraut.
Vor wie vielen Jahren mochte hier eine Steinlawine zum Stillstand gekommen sein? Nun hatte blühendes Leben die Greuel der Verwüstung überdeckt.
Peter spähte zwischen die Trümmer hinein nach Resten erschlagenen Wildes, mochten es auch nur Knochen sein. Und Knochen fand er. Aber was für Knochen!
Ein flechtenbedecktes Hirschgeweih, dessen armdicke Stangen mit fünf kronenförmig beisammenstehenden Endsprossen aus dem Geröll ragten, entlockte ihm einen langen Pfiff.
Er und Eva machten sich ans Ausgraben. Steine und Bruchsand flogen zur Seite; der wohlerhaltene Schädel mit dem vielendigen Geweih, dessen Rosen die Größe von Peters Handtellern hatten, wurde bloßgelegt, dann die Halswirbel und dann – ein zweiter Schädel, mit breitem, in einen starken Knochenkamm übergehenden Hinterkopf, daumendicken Eckzähnen und stumpfhöckerigen Backenzähnen; ein Bärenschädel!
Steil lag er auf dem eingedrückten Brustkorb des Hirsches;beim Weitergraben fanden sie die mächtigen Schulterblätter und das Rückgrat des Raubtieres. Die gewaltigen Wirbel waren vom Eisenrost des ausgelaugten Gesteins braun gefärbt. Die dicken Röhrenknochen der Bärenpranken und die schlanken der Hirschläufe waren unvollständig.
Offenbar hatte Raubzeug weggeschleppt, was das Geröll nicht zugedeckt hatte. Das gemeinsame Grab von Raubtier und Beute erzählte eine Geschichte aus ferner Zeit.
Hirsche gab's jetzt im Heimlichen Grund nicht. Sie mochten einst hier gehaust haben. Oder hatte sich ein von Jägern verwundeter Hirsch durch die Klamm herauf hierher geflüchtet? Jedenfalls war er einem starken Bären zum Opfer gefallen. Aber als der Räuber über seine Beute herfiel, war das Verhängnis gekommen. Eine Steinlawine hatte ihn erschlagen, mitten in der Freude des reichlichen Fraßes.
Unwillkürlich schaute Peter zur Wand empor, von der einst der Steinschlag niedergeprasselt war. Aber dort gab es keine sichtbaren Abbruchstellen. Legföhren hatten sich in den Felsritzen eingenistet und hingen, mit den schlangenförmigen Wurzeln das Gestein umspannend, über dem Abgrund; ihr Anblick hatte etwas Beruhigendes. Und jetzt begann Peter den Knochenfund zu mustern. Prüfend drehte er Stück für Stück in den Händen, und seine Augen fragten jedes einzelne, wozu es gut wäre.
Dann wurden die Körbe gefüllt. Langsam schritten die Kinder mit ihren schweren Bürden heimzu. An ein Durchqueren des alten Laubwaldes, in dem vielleicht die Kastanienbäume stehen mochten, war heute nicht zu denken.
Vorsichtig kehrten sie zum Moorbach zurück und wanderten in seinem Bett abwärts. Schon stand die Westseite des Sonnsteins in vollem Licht, und die Salzwände prangten im rosigen Widerschein der sinkenden Sonne.
Von der Lehmleiten des Moorrandes stiegen die glücklichenSammler mit ihren Lasten nieder ins Heideland des Steinfeldes.
Als sie sich dem Sonnstein näherten, flüchtete ein Rudel Rehe, darunter ein starker Bock mit reichbeperltem Geweih, den Peter zum erstenmal sah.
Langsam zogen die Kinder den Erntepfad dahin; Peter führte Eva durch die Dämmerung heim.
Werkfreuden
Den Hirschschädel, mit dessen verwittertem Geweih sich nicht viel anfangen ließ, und den Bärenschädel befestigte Peter über dem Höhleneingang neben dem Geierbalg und dem Schädel des Steinbocks, das übrige tat er einstweilen ins Allerlei.
Die neuen Entdeckungen erfüllten ihn mit Unrast. Was mochte der Heimliche Grund noch bergen an Schätzen und Geheimnisvollem? Das mußte Peter zuerst ergründen, alles andere konnte warten. Ein Dauerregen zwang ihn aber, daheim zu bleiben, und so machte er sich daran, sein Jagd- und Arbeitsgerät zu vervollständigen. Eva flocht für die bevorstehende Herbsternte Trag- und Vorratskörbe.
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