Im Herzen der Feuersonne
sacht den Kopf. »Und jetzt komm, wir müssen losfahren. Denk nicht
mehr an all die Unbill, die geschehen ist«, bat sie. »Wir müssen uns beeilen,
sonst kommen wir zu spät.«
»Du hast recht, der Tag ist viel zu schön, um
solch unerfreulichen Gedanken nachzuhängen. Und ich freue mich darauf, mit
meiner bezaubernden Frau ausfahren zu können.« Er küsste sie sacht auf die
Wange. »Lammersburg werde ich einfach ignorieren!«
»Das ist mein kluger Mann!« Charlotte reckte sich
auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Du hast schon wieder
einen leichten Bart«, lachte sie.
»Kein Problem, ich werde mich noch einmal
rasieren, bevor wir in Kapstadt losfahren.«
Mit einem Mal verzog Charlotte das Gesicht.
Besorgt sah er sie an. »Hast du etwas?
Schmerzen?«
Schnell wehrte sie ab. »Nein, nein, es ist
nichts. Mach dir keine Gedanken. Uns beiden geht es prächtig!« Damit legte sie
rasch die Hand auf den Bauch. Sie lächelte ihn kurz an und atmete ein paarmal
tief durch, dann fühlte sie sich wieder hervorragend. Lächelnd verabschiedete
sie sich von den Kindern, die in Josys und Malis Obhut blieben. Dann bestiegen
sie die bequeme Reisekutsche, in der auch die groÃen Kisten mit ihrer Garderobe
Platz fanden.
Die Sitzbank war weich gepolstert, dennoch spürte
Charlotte jede noch so kleine Unebenheit. Doch sie versuchte, den ziehenden
Schmerz nicht zu beachten, der in kurzen Abständen aufflammte. Sie schaute nach
drauÃen, wo neben Weinbergen immer mehr Ackerland zu sehen war. Jede Woche kamen
neue Siedler ans Kap, einige versuchten sich als Händler oder als Handwerker,
etliche machten sich daran, das Brachland zu roden und eine Farm aufzubauen. Die
Bevölkerung der Kapregion, die stetig wuchs, musste sowohl Brot als auch Fleisch
haben â die Farmer versprachen sich viel von ihrem Einsatz am südlichsten Ende
Afrikas!
Rotglühend stand die Sonne am westlichen Himmel,
die Hügelketten, die sich am Fuà des Tafelbergs erstreckten, wirkten so, als
habe man ein goldenes Tuch über sie gebreitet. An den Hängen standen, aufgereiht
wie an einer Perlenschnur, unendlich viele Rebstöcke.
»Das hier gehört alles schon zu Stellenbosch «, sagte Ben und wies hinaus. »Ein
gewaltiges Anwesen, das mit den neuen Besitzern zu neuer Blüte gekommen ist.
Sieh dir nur die alte Eichenallee an, die gibt es nirgendwo sonst so
prachtvoll.«
»Du freust dich darauf, mit Kollegen fachsimpeln
zu können, nicht wahr?« Mühsam lächelte Charlotte ihren Mann an. Benjamin
Ruhland war in den letzten Jahren reifer geworden. Sein Gesicht ein wenig
voller, das Haar, früher stets etwas wild, lag korrekt geschnitten um seinen
Kopf. Der Mode entsprechend, hatte er es im Nacken zusammengebunden. Zudem trug
er einen graublauen Reiseanzug, den er später, im Haus seines Schwiegervaters,
gegen einen eleganten Anzug aus nachtblauem Brokat vertauschen würde. Er wirkte
sehr distinguiert, und doch hatte er seinen jungenhaften Charme, in den sich
Charlotte sofort verliebt hatte, noch nicht verloren.
Und diesen Charme hatte er seinem Sohn Sebastian
vererbt! Charlotte dachte voller Stolz an ihre beiden Söhne, an den ruhigen,
besonnenen Karl und an den hübschen Sebastian.
Hoffentlich bekomme ich diesmal ein Mädchen,
dachte sie und suchte sich eine etwas bequemere Sitzhaltung. Sie konnte sich
nicht erinnern, dass sie bei den vorhergehenden Schwangerschaften so gelitten
hatte. Nicht nur, dass ihr lange Zeit morgens übel gewesen war, sie hatte auch
oft Kopfschmerzen, der Rücken tat ihr weh, die FüÃe waren geschwollen.
Doch Ben gegenüber klagte sie nie, er sollte sich
keine Sorgen um sie machen. Und so begrüÃte sie ihren Vater und einige der
schwarzen Dienstboten, die schon lange im Haus waren, freundlich wie immer. »Sei
nicht böse, Papa, aber heute kann ich nicht viel mit dir plaudern, ich muss mich
umkleiden.« Sie gab Willem, der bereits einen eleganten Anzug mit hohem Kragen
und strassbesetzten Zierknöpfen trug, einen flüchtigen Kuss. Zusammen mit Sina
ging sie dann hoch in die Zimmer, die sie früher schon bewohnt hatte und die ihr
nach wie vor zur Verfügung standen.
Während die beiden Männer, die sich inzwischen
sehr gut verstanden, im Arbeitszimmer von Willem eine Zigarre rauchten, zog sich
Charlotte mit Hilfe von Sina um. Zita, die seit Helene Kreuverts Tod
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