Im Herzen der Feuersonne
verschwunden!« Ben sah den alten Mann, der seit einigen Monaten auf Hopeland lebte und jede Arbeit machte, die ihm
aufgetragen wurde, eindringlich an. »Hast du noch etwas gesehen?«
»Nein, aber ⦠kommt doch mit.« Andy ging mit den
für ihn so typischen langen Schritten über den Hof.
Es blieb Ben nichts anderes übrig, als ihm zu
folgen. Rasch holte er ihn ein â und dann sahen sie Madeleine: Sie lag in dem
mittleren Kraal auf der staubigen, mit Schafskot verschmutzten Erde, die Hände
auf dem Rücken zusammengebunden. Ein alter Lappen steckte als Knebel in ihrem
Mund.
»Darling!« Ben kniete neben seiner Tochter
nieder, zog erst den Knebel zwischen ihren Zähnen hervor, dann griff er an
seinen Gurt, in dem ein schmales Messer steckte. Schnell waren die dünnen
Stricke gelöst. Sie hatten sich tief in Madeleines Fleisch eingegraben und
blutige Striemen hinterlassen.
»Papa! Dikko hat mich ⦠Er ist einfach ⦠Er hat
gesagt, das wäre seine Rache! Dabei hab ich ihm doch nie ⦠nie ⦠wirklich etwas
getan und â¦Â« Tränen erstickten ihre Stimme, und Ben blieb nichts zu tun, als sie
erst einmal in den Armen zu wiegen und zu beruhigen. Erst als Madeleines Tränen
versiegt waren und er sie sicher nach Hause gebracht hatte, begann er die
fieberhafte Suche nach dem Missetäter. Doch so lange und intensiv man auch nach
Dikko suchte â er blieb nach diesem Tag für immer verschwunden.
***
Â
Jahre gingen ins Land. Jahre, angefüllt mit
Glück und Leid, mit Arbeit, Erfolg, Lachen und Tränen. Jahre, die das Geschick
der Kapregion prägten und auch die Menschen auf Hopeland . Eine neue Generation war herangewachsen â¦
»Verdammt noch mal, Sebastian, lass endlich die
Finger von den Arbeiterinnen! Wenn Vater erfährt, dass du dich mit zwei von
ihnen gleichzeitig im Weinkeller vergnügst ⦠das gibt einen Heidenärger!«
»Es hat aber Spaà gemacht! Und warum soll ich
mich nicht amüsieren? Du bist doch Vaters Liebling, sein Erbe und sein folgsamer
Vasall!« Sebastian lachte spöttisch auf. Er war ein gutaussehender, schlanker
junger Mann, dessen blondes Haar wie Gold schimmerte. Er war immer nach der
neuesten Mode gekleidet, sportlich, lebenslustig. Karl hielt den Bruder für
leichtsinnig, und er grollte insgeheim seiner verehrten Mutter, die Sebastian
vergötterte.
Charlotte selbst war der Ansicht, dass sie ihre
drei Kinder gleich innig liebte. Aber tief im Herzen stand ihr Sebastian am
nächsten. Er liebte Musik und Schauspiel, interessierte sich für jede Neuerung,
die aus Europa kam, und bezauberte mit seinem Charme alle Frauen zwischen
siebzehn und siebzig. Charlotte hörte es immer wieder gern, wenn man sie um
ihren Sohn beneidete, der auf dem gesellschaftlichen Parkett eine so gute Figur
machte. Dass Sebastian bei weitem nicht so voller Einsatz arbeitete wie sein
älterer Bruder, übersah sie nur zu gern.
Sebastian war ein hervorragender Schüler gewesen,
er sprach flieÃend Englisch und Französisch, auch ganz gut Holländisch und
Italienisch. Mathematik und alle anderen naturwissenschaftlichen Fächer begriff
er im Nu â und wollte doch keinen Nutzen aus seinen Fähigkeiten ziehen. Er
genoss sein Leben, brach aus den Zwängen, die das Leben auf dem Weingut ihm
auferlegte, immer wieder aus â und lachte nur, wenn sein Vater oder Karl ihm
grollten.
Madeleine, die in diesem Jahr 1820 gerade einmal vierzehn Jahre alt geworden war,
himmelte Sebastian an. Er war ihr Vorbild, dem sie in vielen Dingen nachzueifern
suchte. Mit dem ruhigen, viel zu ernsten Karl konnte das junge Mädchen nicht
viel anfangen. »Er denkt immer nur an die Arbeit«, klagte sie oft. »Wenn ich
etwas unternehmen will mit ihm, wenn er mich nach Kapstadt bringen soll, sagt
er, er müsste in den Weinkeller oder mit Vater hinaus in die Weinberge. Ach, er
ist einfach langweilig!«
Wenn Sina hörte, wie Madeleine über den älteren
Bruder sprach, wurde sie jedes Mal böse. Und da Charlotte ihrer Jüngsten kaum
einmal Einhalt gebot, schimpfte Sina das Mädchen aus. »Er ist einfach nur
pflichtbewusst, dein Bruder Karl«, sagte sie. »SchlieÃlich wird er einmal diesen
ganzen Besitz erben, da ist es nur recht und billig, dass er von Grund auf
lernt, was es braucht, um ein so groÃes Weingut erfolgreich und
verantwortungsvoll zu leiten.«
»Wir haben doch
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