Im Herzen der Feuersonne
Kopf. Einer trug das
Kreuz, der andere ein Weihwasserfass.
Etwa fünfzig Menschen folgten der Kutsche, die
Sebastians Sarg zog. Von dem dunkel gebeizten Eichenholz war kaum etwas zu
sehen, denn der Sarg war ganz mit Weinlaub bedeckt, zwischen dem unzählige weiÃe
Geranien hervorschauten.
»Geranien«, hatte Charlotte verächtlich
hervorgestoÃen, als sie das Gebinde gesehen hatte. »Ich wollte Rosen! Sebastian
hat Rosen geliebt.«
»Aber es gibt jetzt keine Rosen mehr. Die letzten
sind schon lange verblüht.« Ben hatte zu Sina hinübergesehen, die den Sarg
eigenhändig geschmückt hatte. »Es ist Winter, mein Liebling.«
»Ja, es ist kalt. Schrecklich kalt. Sebastian
wird frieren.«
»Nein, es geht ihm gut.« Ben hatte den Arm fester
um seine Frau gelegt. »Er hat seinen Frieden, und den müssen wir ihm auch
lassen. â Komm jetzt, die anderen warten.« Langsam, so, als kostete es sie
ungeheure Kraft, setzte Charlotte einen Fuà vor den anderen. Immer wieder sah
sie zu der Kutsche hin. Dort lag ihr Sohn. Sebastian, ihr Liebling. Der immer
gutgelaunte, charmante, lebensfrohe Sebastian â¦
Sie hörte die Gebete, die Trostworte, die ihr
galten, wie aus weiter Ferne. Warum waren diese Leute nicht still? Warum
belästigten sie Ben und sie mit ihren Worten, die so nichtssagend klangen! Und
die ihr nicht den geringsten Trost zu spenden vermochten! Sie sah zu den Hügeln
hin; dort, einige Meilen entfernt, lag Summerset .
Dort war Sebastian gestorben ⦠Ein unterdrückter Schrei entwich ihren Lippen.
Sie presste das spitzenbesetzte Taschentuch vor den Mund und beugte sich noch
weiter vor. Ein paar Meter nur trennten sie von ihrem Sohn. Warum durfte sie
nicht bei ihm sein?
Alle Trauergäste sahen voller Mitleid auf
Charlotte und Ben Ruhland. Links neben seiner Mutter ging Karl, seine Miene
wirkte wie erstarrt. Madeleine, in einem schwarzen Seidenkleid, über das sie
einen dunklen Mantel gezogen hatte, der im Wind wehte, weil sie ihn nicht
richtig geschlossen hatte, ging an der Seite des Vaters. Sie weinte hemmungslos,
und Ben wusste kaum, wen er mehr trösten musste â Charlotte oder seine
verzweifelte Tochter.
Charlotte hatte keine Tränen mehr. Sie wirkte wie
eine Marionette, als sie einen Fuà vor den anderen setzte.
Erst als der Sarg in die Erde gesenkt worden war,
schien sie zu sich zu kommen. »Bastian â¦Â« Ihre Stimme war kaum zu vernehmen, als
sie drei Schritte auf die Grabstelle zu machte und die kleinen pelzgefütterten
Kinderschühchen, die Sebastian als Erste getragen hatte, in die Grube fallen
lieÃ.
Als sie schwankte, war Ben sofort neben ihr. Doch
Charlotte wehrte ihn ab. Ihr Blick war auf die vergoldete Madonna gerichtet, die
auf einer Spitzendecke in der kleinen Kapelle stand. »Warum?«, fragte sie mit
brüchiger Stimme. »Warum auch mein Sohn?« Dann sank sie weinend in Bens
Arme.
***
Â
Mit auÃergewöhnlicher Kraft heulte der Wind
durch die Long Street von Kapstadt, riss an den Röcken und Pelerinen der Damen,
wehte kleine spitzenbesetzte Schirme durch die Luft und zerrte an den Mützen der
Soldaten, die zur wöchentlichen Parade hinüber zum Gouverneurspalast ritten.
Vom Atlantik her schoben sich Wolkentürme den
Tafelberg hinauf und bildeten oben auf dem Plateau eine weiÃe Sahnehaube. Es war
ein beinahe romantisches Bild, das vergessen lieÃ, wie gefährlich der Southeaster und die Wolkenmassen werden konnten.
Lautes, aufgeregtes Rufen der Klippschliefer und
der Krähen machte den Einheimischen klar, dass der Wind noch mehr auffrischen
würde, denn die Tiere suchten aufgeregt Schutz in ihren Bruthöhlen, die sich in
dem zerklüfteten Sandstein befanden. Der sechshundert Hektar Fläche umfassende
Tafelberg verschwand fast zur Hälfte in dichten Wolken; vom Hafengebiet aus
konnte man kaum noch etwas erkennen von Kapstadts Wahrzeichen.
»Muss es jetzt auch noch anfangen zu regnen?« Ein
tiefer Seufzer begleitete Sophie Rothausens Worte, und sie versuchte, sich gegen
den immer stärker werdenden Sturm zu stemmen. Die zierliche junge Frau zog sich
das Wolltuch fester um den Kopf und um die Schultern. Sie war kurz noch einmal
bei der Schneiderin gewesen, denn in wenigen Tagen fand in der Englischen
Gesandtschaft ein Ball statt â ein idealer Anlass, sich mindestens zwei neue
Kleider zu bestellen!
Sophie lächelte. Karl würde Augen machen,
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