Im Herzen der Feuersonne
nur noch wenige Minuten vergönnt waren, war ihm
deutlich bewusst.
»Wir bringen ihn aufs Gut.« Johannes stand auf
und wischte sich immer wieder unruhig mit den Händen über das Gesicht, so dass
er blutige Streifen hinterlieÃ. »Eine Trage â los, baut eine Trage. Drüben gibt
es Ãste genug! Nun macht doch endlich voran, ihr Faulpelze!« Seine Stimme klang
schrill. Panik hatte ihn erfasst, er vermochte offenbar kaum noch klar zu
denken.
Die beiden Schwarzen schlugen einige Ãste von den
Bäumen, doch sie hatten die notdürftige Trage noch nicht einmal halb fertig, als
Johannes unterdrückt aufschrie. »Nein! Bastian, nicht!« Er lieà sich zu Boden
sinken, hielt die Hände des Freundes in den seinen. Eindringlich sah er
Sebastian an â doch er blickte in gebrochene Augen.
Louis und Roy standen regungslos und starrten auf
den Toten. Die Paviane hörten wie durch ein Wunder auf zu kreischen. Nur noch
zwei von ihnen sah man â dann war es still. Unheimlich still.
»Er muss heim«, sagte Johannes schlieÃlich. Er
biss sich die Lippen blutig, bevor er dem Toten die Augen schloss. Langsam,
mühsam beinahe, richtete er sich auf. »Wir bringen ihn erst einmal nach Summerset , dann mit dem Wagen hinüber nach Hopeland .« Mit starrem Blick sah er zu, wie die beiden
Schwarzen die Bahre zu Ende bauten und den leblosen Körper daraufbetteten.
»Wenn wir die Zügel von einem Pferd nehmen,
können wir die Bahre ziehen lassen«, meinte Roy.
Johannes wandte sich ab und lieà sich auf einem
kleinen Felsen nieder. Lange saà er so, starrte in die Gegend, ohne etwas
wahrzunehmen. Er spürte auch nicht die Schmerzen, die seine eigenen Verletzungen
verursachten. Für ein paar grausame Minuten war alles in ihm tot und leer. Der
Himmel verfärbte sich, das helle Grau, in das sich vor einer Stunde noch
hellblaue Streifen gemischt hatten, wurde dunkler. Der Wind nahm zu, und jetzt
waren auch die Greifvögel wieder da, kreisten über der kleinen Menschengruppe,
als wüssten sie, dass einer von ihnen nicht mehr atmete.
»SchieÃt diese Totenvögel ab«, knirschte
Johannes, und als weder Louis noch Roy reagierten, griff er zu seinem Gewehr und
knallte einige Male in die Luft. Das Laden strengte ihn an, seine Wunden
bluteten stärker, doch es tat ihm gut, etwas zu tun, um sich abzureagieren. Als
einer der Geier getroffen zu Boden fiel, hörte er endlich auf.
»Wir reiten los«, sagte er, warf Roy die Muskete
zu und schwang sich auf sein Pferd. Ohne sich umzusehen, ritt er davon. Es
dauerte eine Weile, ehe die beiden Schwarzen mit Sebastian folgen konnten.
Von Westen her wurde die dunkle Wolkenwand immer
dichter und bedrohlicher. Es war wie ein düsteres Omen.
***
Â
»Nächstes Frühjahr werden wir einige neue
Hecken pflanzen müssen.« Ben Ruhland ging, die Hände hinter dem Rücken
verschränkt, im groÃen Wohnraum auf und ab. »Dieser Wind zerstört uns die neuen
Rebstöcke.«
»Jetzt fängt es auch noch an zu regnen«, warf
Charlotte ein. Sie trat ans Fenster und sah besorgt hinaus. Der Himmel hatte
sich völlig zugezogen, die ersten Tropfen prasselten gegen die Fensterscheiben.
Der berüchtigte »Southeaster«, ein scharfer Wind, der sogar die Stärke eines
Hurrikans annehmen konnte, kündigte sich wieder einmal an. In den Jahren, da sie
hier an der Kapregion lebten, hatten die Ruhlands diesen Wind, der regelmäÃig im
Winter seine zerstörerische Macht zeigte, fürchten gelernt.
Die Herrin von Hopeland zog sich den karmesinroten Kaschmirschal enger um die
Schultern. »Wo nur der Junge bleibt«, murmelte sie vor sich hin. »So lange ist
er noch nie fortgeblieben. Und er kann doch nicht auf die Jagd gehen bei diesem
Wetter.«
»Wenn er mit dem Lammersburg-Spross unterwegs
ist, wird er sich schon zu amüsieren wissen.« In Ben Ruhlands Stimme klang
leiser Groll mit. »Es ist ein Unding â wir sind mit diesen Nachbarn seit Jahren
über Kreuz, doch unser Sohn hat sich mit dem Spross dieses Verbrechers
angefreundet.« Er zog fahrig an seiner Weste, deren Silberknöpfe blank poliert
waren. Seit Jahren, seit er es sich leisten konnte, Kleidung von erlesener
Qualität zu tragen, sorgte Sina dafür, dass die Sachen auch perfekt gepflegt
wurden.
»Wo ist eigentlich Karl?«, fragte Charlotte
ablenkend.
»Na, wo schon? Im Weinkeller.«
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