Im Herzen der Feuersonne
genügend eigenen Gehalt haben und
ihren Charakter ohne unsere Eingriffe entfalten können« war einer von Victors
Lieblingssprüchen. Doch es war, das wusste Victor besser als jeder andere, auch
wichtig, die Weine vor Fäulnis zu schützen und zu verhindern, dass sie
verdarben.
Vieles von dem, was er über Jahrzehnte an Wissen
gewonnen hatte, hatte er bereits an Will und auch an Karl weitergegeben. Als er
allerdings krank wurde und kaum noch sprechen konnte, zog er aus seinem
Nachttisch ein Buch mit der Aufschrift: Für Will â
darin hatte der alte Kellermeister seine geheimsten Pläne, sein ganzes Wissen
über die Kunst des Kelterns aufgeschrieben. »Für dich.« Mit Mühe hatte er die
Worte hervorgebracht, doch sein Blick war voller väterlicher Güte gewesen, als
er Will das Büchlein reichte. Will hütete dieses schmale schwarze Lederheft wie
einen groÃen Schatz â und genau das war er auch! Nicht einmal Ben Ruhland und
Karl besaÃen nun ein so umfangreiches Wissen über alle Rebsorten, die es auf der
Welt gab, wie er.
Während des langen Heimritts dachte Will weiter
über die Geschehnisse der letzten Wochen und Monate nach. Charlotte hatte lange
um ihren geliebten Sohn getrauert, und auch Ben war über den Verlust nicht
hinweggekommen, doch er war inzwischen wieder in seinen Alltag zurückgekehrt;
die Arbeit half ihm, seine Trauer zu bewältigen.
Karl Ruhland litt still, so wie es seine Art war.
Doch Will, der den nur wenig Jüngeren besser kannte als jeder andere, wusste nur
zu gut, dass Karl nie vergessen, nie verzeihen würde, dass die Lammersburgs so
groÃes Leid über seine Familie gebracht hatten.
Er war nur noch eine halbe Meile von Hopeland entfernt, als Madeleine ihm entgegenkam. Sie
trug ein Kostüm aus hellblauer Wolle, das am Kragen und an den Manschetten mit
hellem Pelzwerk abgesetzt war. Zum Schutz gegen den scharfen Wind hatte sie sich
ein Wolltuch um die aschblonden Haare geschlungen.
»Miss Madeleine ⦠was macht Ihr denn hier bei dem
Wetter? Und dann auch noch zu Fuà â¦Â« Besorgt sah er die junge Dame an, die in
wenigen Wochen ihren achtzehnten Geburtstag feiern würde.
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.« Ein
hochmütiger Blick streifte den Kellermeister. »Reite heim und kümmere dich um
deine Arbeit.«
Will biss sich auf die Lippen und ritt weiter,
ohne ein Wort zu sagen. Madeleine war â seit Sebastians Tod â die Einzige auf
dem Gut, die ihn abweisend und überheblich behandelte. Er hatte schon oft
gehört, dass Ben seine Tochter deswegen gerügt hatte. Doch Madeleine blieb bei
ihrer Haltung, und sie lieà Will spüren, dass er nur ein schwarzer Dienstbote
war.
Nach zweihundert Metern zügelte Will sein Pferd
und kniff die Augen zusammen, als er hinter sich das Trappeln von Pferdehufen
hörte. Er wandte sich um und erblickte den Einspänner, den er erst vor einigen
Stunden in Kapstadt gesehen hatte und der nun rasch näher kam. Das Pferd
schäumte, doch der Kutscher trieb es immer noch mehr an.
»Johannes Lammersburg«, murmelte Will vor sich
hin und blickte dem Gefährt nach, das rücksichtslos an ihm vorübergerast war. Er
schüttelte ratlos den Kopf, als er sah, dass der Kutscher jetzt vom Wagen
absprang und mit drei langen Schritten bei Madeleine war, die sich gleich in
seine Arme warf und küssen lieÃ. »Wenn das deine Eltern wüssten â¦Â« Doch er nahm
sich vor, das Gesehene für sich zu behalten. Charlotte und Ben hatten Kummer
genug, da musste Madeleine ihnen nicht noch mehr zufügen!
Langsam ritt Will weiter. Aber in Gedanken war er
noch bei dem jungen Mädchen und bei Johannes Lammersburg, der mehr als zwanzig
Jahre älter war als Madeleine.
Als er das Weingut, das sich mit jedem Jahr
weiter ausbreitete, erreicht hatte, ging er als Erstes in den groÃen, neu
angelegten Gewölbekeller, in dem die edelsten Tropfen in groÃen Eichenfässern
reiften. Wie er es erwartet hatte, waren Ben und Karl hier und kontrollierten
einige Weine.
»Der hat viel zu viel Säure«, sagte Ben gerade
und lieà einen Schluck im Mund kreisen.
»Stimmt. Dann nimm hiervon einen Schluck.« Karl
reichte seinem Vater ein kleines Probierglas, in dem ein goldener Wein
funkelte.
»Das ist â¦Â« Ben schloss die Augen. »Das ist
exzellent! Mit diesem Muskateller werden wir die Konkurrenz um
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