Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
noch Noah.«
Erneut schwieg sie, dachte an all das, was er ihr erzählt hatte, und versuchte, eine Verbindung zu schaffen zwischen damals und heute. Konnte es tatsächlich der holländische Akzent des Pflanzers gewesen sein, der Noah am Vorabend von Herrn Konings’ Tod so reizbar gemacht hatte? Und reichte das aus, um einen Mord zu begehen?
Sie musste es einfach wissen. »Kannst du dich vielleicht auch an etwas anderes erinnern? Ich meine die Nacht, als Herr Konings … gestorben ist.«
Er schloss für einen Moment die Augen, dann öffnete er sie wieder und schüttelte den Kopf.
»Wirklich gar nichts mehr? Denk nach. Was ist passiert, nachdem du vom Tisch aufgestanden bist?«
»Da sind Bilder. Geräusche. Aber immer, wenn ich versuche, sie zu greifen, verschwinden sie wieder.«
Er wirkte erschöpft, das lange Sprechen hatte ihn angestrengt. Isabel biss sich auf die Lippe. Wie konnte sie nur vergessen, was er alles hinter sich hatte, und ihn mit ihren Fragen quälen?
»Du solltest jetzt schlafen. Vielleicht fällt es dir morgen wieder ein.«
»Ich kann nicht schlafen. Nicht, solange dieses Ding in meinem Arm steckt.«
Isabel warf einen Blick auf den Glasbehälter. Er war leer, die Kochsalzlösung durchgelaufen.
»Dann sollte ich wohl besser Doktor Timm holen.« Sie machte Anstalten, sich zu erheben.
»Nein, bleib«, bat Noah.
»Ich dachte, du wolltest die Nadel loswerden.«
»Aber nicht dich.« Ihr Herz schlug schneller bei diesen Worten. »Kannst du es nicht auch tun?«
Sie nickte zögernd. »Ich denke ja. Ich habe schon dabei zugesehen.«
Neben dem Glasbehälter hatte Dr. Timm etwas Verbandwatte und ein paar aufgerollte Leinenstreifen liegen gelassen. Noah wandte den Kopf ab, als sie behutsam die Kanüle aus seiner Vene zog. Gleich darauf drückte sie mit der Watte fest darauf und legte die blutige Nadel mit dem Gummischlauch neben den Glasbehälter. Noah seufzte erleichtert auf.
»Ich wusste doch, dass du das kannst«, murmelte er, während er ihr zusah, wie sie die kleine Wunde verband. »Du siehst übrigens sehr … gut aus in dieser Hose.«
Hitze schoss in ihre Wangen. Erst jetzt kam ihr zu Bewusstsein, dass das geliehene Kleidungsstück ihre Beine auf geradezu unanständige Weise teilte und zur Schau stellte.
Er hielt still, bis sie fertig war, dann schloss sich seine Hand um ihre. Diesmal schon etwas fester, als wollte er sie nie wieder gehen lassen.
»Ich würde dich gerne küssen«, flüsterte er. »Aber ich weiß nicht, ob du das auch willst.«
Ihr Herz tat einen Satz, dann klopfte es umso schneller weiter. Sie nickte, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen, und beugte sich über ihn. Seine Hand legte sich zärtlich um ihren Hinterkopf und zog sie näher zu sich.
*
Noah beobachtete, wie die Helligkeit des frühen Morgens durch das kleine Fenster langsam in die Kabine kroch. Er hatte nur wenig geschlafen. Die Pfeilwunde in seinem Unterschenkel pochte leicht, und noch immer fühlten sich seine Glieder so kraftlos und schwach an, als wären sie aus Sagobrei. Aber immerhin konnte er wieder problemlos atmen. Nicht mehr wie in jenen entsetzlichen Stunden, als das Schlangengift seinen Körper fast vollständig gelähmt hatte.
Schon kurz nach dem Biss hatten die ersten Krämpfe eingesetzt, gepaart mit Schwindel, Zittern und einem großen Schwächegefühl. Korua-Kolta war außer sich vor Wut gewesen, als er bemerkt hatte, dass sein Gefangener ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Kurz sah es aus, als wollte er Noah den Arm abschneiden, um wenigstens den Rest genießen zu können, bis ihn einer der Krieger davon überzeugte, dass es dafür schon zu spät sei und das Gift sich bereits in Noahs gesamten Körper verteilt habe. Doch falls Noah den Biss überlebe, könne man ihn nach ein paar Tagen, wenn das Gift aus seinem Körper verschwunden sei, immer noch töten. Daraufhin brachte man Noah in den abgetrennten Teil des Kasuargeheges, wo die Frauen Farnwedel über ihn deckten, um ihn vor der Sonne und den Fliegen zu schützen.
Dem Schlachtfest fürs Erste entronnen, sah es allerdings tatsächlich so aus, als würde er an dem Schlangenbiss sterben. Panik stieg in ihm auf, als er merkte, dass er keinen Finger mehr rühren konnte und kaum noch Luft bekam. Über Stunden lag er da, vollkommen unfähig, sich zu bewegen, nur darauf bedacht, seine Lungen dazu zu bringen, Atem zu holen, Luft zu schöpfen. Bis sein Bewusstsein sich immer mehr eintrübte und er in gnädige Umnachtung
Weitere Kostenlose Bücher