Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
fusseliger Spitzbart zierte, mit einem Stirnrunzeln. »Wer sind Sie, und wer ist der junge Mann? Was machen Sie hier? Und in welchem Verhältnis stehen Sie zueinander?«
Isabels Gesicht wurde erneut glühend heiß. »Es … es ist nicht so, wie Sie vielleicht denken.« Wirklich nicht? Immerhin hatte sie mit Noah geschlafen, wenn auch nur einmal und unter mehr als ungewöhnlichen Umständen. Aber das war jetzt sowieso alles vorbei.
»Ich komme aus Zirndorf in Franken«, begann sie. »Ich bin vor einigen Wochen in dieses Land gereist, um einen deutschen Missionar zu heiraten. Aber mein Verlobter ist kurz vor meiner Ankunft gestorben.«
»Mein Beileid«, sagte Dr. Timm. »Und der junge Mann?«
»Sein Name ist Jeroen van Dreyke. Er ist …«
»Jeroen van Dreyke?«, unterbrach Lauterbach sie. »Sagten Sie nicht, sein Name sei Noah?«
»Ja. Auch. Aber das ist eine lange Geschichte.« Sie merkte selbst, wie unglaubwürdig sie klang. »Er ist Dolmetscher. In der Missionsstation Simbang. Dort, wo mein Verlobter lebte.«
»Simbang?«, meldete sich Kapitän Pahnke zu Wort. »Das ist an der Küste, ganz in der Nähe von Finschhafen. Wie um alles in der Welt hat es Sie dann so weit ins Landesinnere verschlagen?«
»Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie uns diesmal keine Märchen mehr auftischen würden«, ergänzte Lauterbach.
Isabel schluckte. Sie konnte nicht länger lügen. Sie hätte auch gar nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. »Ich … wurde entführt«, murmelte sie. Das war bereits bekannt.
Dr. Timm nickte. »Zusammen mit Ihrem …« Bruder, wollte Dr. Timm wohl sagen, hielt das Wort aber im letzten Moment zurück. »Zusammen mit diesem Dolmetscher.«
»Nein.« Isabels Stimme war so leise, dass sie sich selbst kaum hörte. » Von ihm.« Sie hob den Kopf, holte tief Luft. »Aber er war immer gut zu mir. Er hat mir kein Haar gekrümmt.«
Für ein paar Herzschläge waren nur das leise Rauschen des Schaufelrads und ein paar Vogelrufe zu hören.
Herr Lauterbach war der Erste, der das verblüffte Schweigen brach. »Habe ich das richtig verstanden? Sagten sie, er habe Sie entführt?«
Sie nickte.
»Wieso?«
Es überlief sie heiß und kalt, als ihr klarwurde, dass sich die Schlinge um Noah immer fester zuzog. »Um dem Gefängnis zu entgehen.«
»Sprechen Sie weiter«, forderte Lauterbach sie auf, als sie erneut verstummte.
»Weil …« Verzweifelt suchte sie nach einer Lösung, aber ihr fiel keine ein. Sie musste es sagen. Spätestens in Finschhafen würde es sowieso herauskommen.
Sie ließ die Schultern sinken, die sie in unbewusster Abwehr hochgezogen hatte. »In Simbang wurde ein holländischer Pflanzer ermordet. Noah … Er steht im Verdacht, ihn getötet zu haben.«
»Er hat einen Pflanzer ermordet ?« Die drei Männer erhoben sich fast gleichzeitig, jede Freundlichkeit war aus ihrem Blick gewichen.
»Nein!«, widersprach Isabel. Auch sie war aufgestanden, ihr Herz klopfte schmerzhaft laut, ihr war schwindelig. »Er steht nur unter Verdacht. Aber er … er war es nicht! Ich bin ganz sicher, dass er es nicht war!«
Niemand achtete auf sie.
»Sterz!«, rief Pahnke den Ersten Steuermann zu sich. »Der junge Mann in der Krankenkabine ist des Mordes verdächtig. Sorgen Sie dafür, dass er keinen Schaden anrichten kann. Die Kabine wird von außen abgeschlossen, und es wird immer ein Bewaffneter vor der Tür Wache halten. Bis wir in Finschhafen sind, darf niemand alleine zu ihm.« Er sah Isabel streng an. »Schon gar nicht Fräulein Maritz!«
21.
Ein fliederfarbener Reiher flog auf, zwei weitere folgten und glitten mit langsamen Flügelschlägen nahezu geräuschlos über den Fluss, der inzwischen eine stattliche Breite aufwies. Am Ufer zeichneten sich die Umrisse eines Krokodils ab.
Auf den beiden Decks der Herzogin Elisabeth stapelten sich Kisten mit geologischen und botanischen Instrumenten, mit Taroknollen und Kokosnüssen, eingetauschten Töpferwaren und Kunstgegenständen. Dazwischen lagen die aufgewickelten Hängematten der einheimischen Träger und Schiffsleute.
Isabel stand auf dem oberen Deck, das nach dem heftigen Regenguss vom Morgen wie blankgewaschen glänzte. Sie hatte den Strohhut abgenommen und ließ den leichten Wind durch ihre Haare wehen. Eigentlich hätte sie sich vor der Sonne schützen müssen, aber sie wollte wenigstens etwas spüren, nachdem sie sich in den vergangenen Tagen wie betäubt gefühlt hatte. Gestern hatte sie sich in einem kleinen Handspiegel
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