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Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)

Titel: Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Erschlafft schließlich ganz.
    Jeroens Kopf droht zu platzen, ihm ist entsetzlich schwindelig. Auf Händen und Füßen weicht er immer weiter zurück, fort von der schrecklichen Szene, dem Toten, dem Blut, bis er mit dem Rücken gegen etwas Hartes stößt. Das Boot! Mit letzter Kraft gelingt es ihm, das Boot zu Wasser zu lassen. Er lässt sich hineinsinken.
    Dann umfängt ihn Dunkelheit.
    *
    Ab hier wird seine Erinnerung bruchstückhaft. Später erfährt er, dass ihn die Kandangai gefunden haben, blutüberströmt und bewusstlos in einem Kanu auf dem Sepik treibend. Er muss mit der Strömung nach Osten getrieben sein, vorbei an der Handelsstation, fort aus dem niederländischen Teil.
    Als er wieder zu sich kommt, weiß er nicht mehr, wer er ist. Er hat keine Erinnerung daran, wo er herkommt. Weder an seinen Namen noch an seine Familie. Keiner der Kandangai versteht die Worte, die er im Fieber hervorbringt, und er versteht keine der fremden Männer und Frauen, die immer wieder auf ihn einreden.
    Sein Kopf tut so weh! Niemand kann ihm erklären, was mit ihm geschieht, als man ihn auf den Dorfplatz trägt, wo der Schamane auf ihn wartet.
    Hände, die ihn halten. Stimmen, die einen fremdartigen Singsang anstimmen, Gesichter, die sich über ihn beugen. Er hat große Angst, dennoch versucht er, tapfer zu sein, als man in seine Kopfhaut schneidet, die kaum verheilte Wunde wieder öffnet. Aber dann wird der Schmerz zu groß. Erneut schwinden ihm die Sinne.
    Von dem Eingriff erholt er sich schnell. Schon wenige Tage später kann er wieder herumlaufen, den Männern beim Fischen zusehen und den Frauen bei der Sagozubereitung. Nur seine Erinnerung an alles, was vor dem Tag passierte, als man ihn fand, scheint für immer verloren.
    Eines der kinderreichen Paare nimmt ihn bei sich auf und nennt ihn Asemou, den Namenlosen. Er erlernt die Sprache der Kandangai, gliedert sich in ihre Gemeinschaft ein und bemüht sich, das Loch in seinem Leben zu vergessen.
    Bis eines Tages nach fünf Jahren ein deutscher Forscher namens Otto Finsch zu den Kandangai kommt und ihn mitnimmt in die Missionsstation Simbang.
     

20.
    Sacht schwappte das Wasser an die Bordwand, und durch das geöffnete Fenster der Kabine drang entferntes Zikadengezirpe, ansonsten war es still. Beim Schein einer kleinen Petroleumlampe hatte Isabel atemlos Noahs leiser Erzählung gelauscht und nicht gewagt, ihn zu unterbrechen, um ihn nicht aus seiner Erinnerung zu reißen. Zu keinem Moment hatte sie den Eindruck gehabt, er würde das alles erfinden. Jetzt war keine Zeit für Lügen.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte sie schließlich.
    Nun erst merkte sie, dass ihre Wangen nass waren. Sie weinte um das Leid, das dieser kleine, tapfere Junge so lange hatte ertragen müssen, um den schrecklichen Tod seiner Mutter und um die vielen verlorenen Jahre.
    So viel Gewalt. So viel Schmerz.
    »Ich habe Maarten umgebracht.« Er sagte es ganz ruhig, aber Isabel spürte, wie es in ihm arbeitete. Noch immer lag er, aber seine Lähmung schien weiter abzunehmen.
    »Das hast du nicht. Es war ein Unfall.«
    »Aber danach habe ich einfach zugesehen, wie er … verreckt ist.«
    »Du warst ein Kind! Er hat deine Mutter getötet. Und dich wollte er auch töten.«
    Er nickte, dann gab er einen erstickten Laut von sich und hob seine linke Hand vors Gesicht. Er atmete krampfhaft, und sie befürchtete schon, er würde wieder keine Luft bekommen. Sie wollte gerade alarmiert aufstehen, als er sich bereits wieder unter Kontrolle hatte.
    »Da sind noch … so viel mehr Erinnerungen.« Seine Stimme klang gedämpft, dann nahm er seine Hand wieder herunter.
    »Du musst nicht alles auf einmal erzählen. Es ist schon spät. Du solltest dich ausruhen.«
    »Doch. Ich will. Ich muss. Ich … habe Angst, es wieder zu vergessen. Sie wieder zu vergessen.« Sein Blick verschleierte sich.
    »Das wirst du nicht.«
    Ihr Herz zog sich vor Liebe und Mitleid zusammen, ihre Hand drückte seine. In diesem Moment kam er ihr vor wie der kleine, verlorene Junge von damals. Am liebsten hätte sie ihn umarmt, ihn an sich gedrückt, aber das wagte sie nicht. Was würde er dann wohl von ihr denken? Und so blieb sie einfach nur stumm bei ihm sitzen und strich immer wieder über seinen Handrücken.
    »Dann ist dein richtiger Name also Jeroen van Dreyke«, brach sie schließlich die Stille.
    Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
    »Jeroen gibt es nicht mehr«, sagte er leise. »Er ist vor zehn Jahren gestorben. Jetzt gibt es nur

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