Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
glitt. Erst hier, in dieser Kabine, war er wieder zu sich gekommen, mit diesem wunderbaren Mädchen an seiner Seite, das ihn gerettet hatte.
Sein Blick richtete sich auf Isabel. Sie sah sehr hübsch aus, wie sie da mit halb aufgelösten Haaren schlief. Ihre Hand war aus seiner geglitten, und sie hing in einer ziemlich unbequem aussehenden Haltung auf dem Stuhl, der neben seiner Koje stand. Er hatte sich tatsächlich in sie verliebt. Am liebsten hätte er sich aufgesetzt und sie an sich gezogen, aber das war ihm in seinem Zustand noch nicht möglich. Bei dem Gedanken daran, wie innig sie ihn in der vergangenen Nacht geküsst hatte, spürte er, wie sich etwas bei ihm regte. Das zumindest funktionierte wieder, registrierte er erleichtert.
Das Schiff erwachte. Schritte erklangen an Deck, irgendwo unter ihm ertönte ein Zischen. In der Luft, die durch die geöffnete Luke drang, war ein Hauch verbrannter Holzkohle zu riechen. Ein leichter Ruck war zu spüren, als der Anker gelichtet wurde und das Schaufelrad sich in Gang setzte. Sein Magen zog sich zusammen, als ihm klarwurde, dass jetzt das passierte, was er um alles auf der Welt hatte vermeiden wollen: Man brachte ihn nach Finschhafen. Und in seiner momentanen Verfassung konnte er noch keinen einzigen Schritt machen, geschweige denn erneut entkommen.
Isabel schlug die Augen auf, sah ihn an und lächelte. Ihr zärtlicher Blick verdrängte seine unerfreulichen Gedanken.
»Du bist ja schon wach«, murmelte sie und streckte sich verhalten, um ihre Muskeln zu lockern. Ihre Hände fuhren über ihr Gesicht und zu ihrem halb aufgelösten Zopf. »Oje, ich muss furchtbar aussehen.«
»Ganz und gar nicht.«
Röte überzog ihre Wangen. »Du sollst mich doch nicht mehr anlügen.«
»Das tue ich auch nicht.« Wie sie wohl auf seine nächste Eröffnung reagieren würde? »Mir ist noch etwas eingefallen.«
Sie ließ ihre Hände wieder sinken. »Was denn?«
Er zögerte. Aber er musste es ihr sagen. Jetzt. Wer wusste schon, wann er wieder die Gelegenheit dazu bekommen würde. Und vielleicht trug es ja dazu bei, seine mögliche Unschuld zu beweisen.
»In der Nacht, als Konings erschlagen wurde … Ich weiß wieder, wo ich gewesen bin.« Er kam sich plötzlich vor wie ein Lump. »In der Hütte der Brüder. Bei … Henriette.«
Isabels Augenbrauen zogen sich zusammen. »Bei Henriette? Frau Thilenius, Bertholds Schwester?«
Er nickte.
»Aber … wieso? Was wolltest du dort?«
Er fühlte sich noch kraftloser als vorher. »Kannst du dir das nicht denken?«
Isabel sah ihn an, erst verwirrt, dann malte sich langsam Begreifen auf ihre Züge. Ruckartig erhob sie sich. »Du meinst, du und Henriette, ihr seid … ihr habt … Nein. Nein, das ist nicht wahr!« So fassungslos und verletzt hatte er sie noch nie erlebt.
»Wann hattest du vor, mir das zu sagen?«, brachte sie schließlich gepresst hervor. Sie stand vor ihm, ihr Körper angespannt wie ein Brett, jede Faser ihres Körpers voller Abwehr.
»Isabel, ich …«
»Nein, du musst mir nicht antworten. Du kannst tun und lassen, was du willst«, gab sie mühsam beherrscht zurück, in ihren Augen glitzerten Tränen. »Du bist mir keine Rechenschaft schuldig.«
»Doch! Isabel, bitte, es ist wichtig … Ich wünschte, ich müsste dich nicht darum bitten, aber …«
»Was?«
»Vielleicht könntest du mit ihr sprechen. Sie darum bitten, für mich auszusagen.« Er hatte sich noch nie so schäbig gefühlt.
Sie sah ihn nur wortlos an, dann drehte sie sich um. Sie war schon auf dem Weg zur Kabinentür, als ein kurzes Klopfen ertönte. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und ein Mann kam herein. Seiner Stimme nach war es der Arzt, der gestern Abend bereits einmal nach ihm gesehen hatte.
»Guten Morgen, Fräulein Maritz«, begrüßte er sie. »Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, dass Sie sich hier die Nacht um die Ohren geschlagen haben, während ich geschlafen habe.«
»Sie haben genug getan, Doktor Timm.« Isabels Stimme schwankte verdächtig. »Wie Sie sehen, ist … Ihr Patient schon wieder bei Kräften.«
»Tatsächlich? Das ist ja höchst erfreulich. Und wie ich sehe, haben Sie die Infusion bereits entfernt. Ach, Fräulein Maritz, könnten Sie vielleicht in einer guten halben Stunde an Deck kommen? Kapitän Pahnke lädt uns beide ein, mit ihm und Herrn Lauterbach zu frühstücken.«
»Sehr gern. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen.« Isabel ging eilig an ihm vorbei, dann war sie aus Noahs Blickfeld
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