Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
bitter und erfrischend. Auch Henriette trank.
»Wissen Sie, dass vor zwei Tagen ein Gerichtsbeisitzer gestorben ist? Und vorige Woche der Hafenmeister? Nein, wie können Sie das auch wissen, Sie waren ja nicht hier.« Henriette ließ sich ungefragt in den Stuhl sinken, der vor der Frisierkommode stand, und nahm einen neuerlichen tiefen Schluck. Es war offenkundig nicht ihr erstes Glas.
Isabel schwieg. Sie fühlte sich nicht wohl, allein mit Bertholds Schwester. Ständig musste sie daran denken, was zwischen Noah und Henriette war. Wie sie sich liebten.
»Die Ersten siedeln bereits über nach Stephansort«, fuhr Henriette fort. »Ich habe Berthold gebeten, Finschhafen ebenfalls zu verlassen. Ich … ich will nicht in diesem Malarialoch festsitzen. Aber Berthold sagt, er müsse hierbleiben. Er sei schließlich der stellvertretende Stationsleiter«, sie äffte den bedeutungsschweren Tonfall ihres Bruders nach, »da könne er sich nicht vor der Verantwortung drücken. Und jetzt, wo man den … den Verbrecher gefasst hat, muss er auch noch dafür sorgen, dass der Bursche seine gerechte Strafe bekommt.«
»Seine gerechte Strafe?« Isabel ließ ihr Glas sinken, ihr Herz schlug plötzlich schmerzhaft laut. »Halten Sie Noah tatsächlich für einen Mörder?«
Henriette wirkte kurzfristig verwirrt. »Sie etwa nicht?«
»Nein. Und Sie wissen ebenfalls, dass er Herrn Konings nicht umgebracht hat.«
»Wie kommen Sie darauf?« Ein misstrauisches Funkeln war in Henriettes Augen zu sehen, sie richtete sich im Stuhl kerzengerade auf.
In Isabels Magen saß ein Knoten, Übelkeit breitete sich in ihr aus. Womöglich kam es auch vom Chinin. Aber es half ja nichts. Wenn sie Noahs Unschuld beweisen wollte, musste sie es jetzt ansprechen.
Sie schluckte, dann hob sie den Kopf. Es kam ihr vor, als würde sie auf dünnem Eis stehen. »Noah hat es mir erzählt. Er sagt, er sei in der Mordnacht mit … mit Ihnen zusammen gewesen.«
Jetzt war es heraus. Gleich würde Henriette aufstehen und sie beschimpfen. Oder sie aus dem Haus werfen.
Henriettes Wangen überzogen sich mit einem rosigen Schimmer. Sie kippte den Rest ihres Getränks in einem Zug hinunter.
»Das hat dieser Halunke Ihnen also erzählt?« Ihre Stimme schwankte; sie war eindeutig nicht mehr nüchtern. »Dieser Mischlingsbursche, der offenkundig sein Wort nicht halten kann? Der glaubt, mit seinen blauen Augen jede Frau um den Finger wickeln zu können?«
Jedes ihrer Worte war ein Schlag in Isabels Magengrube. Die beiden hatten also wirklich ein Verhältnis miteinander.
Henriettes schönes Gesicht verzog sich hochmütig. »Hat er Ihnen auch erzählt, dass ich ihn zurückgewiesen habe? Dass ich kein Interesse mehr an ihm hatte?«
Isabel blickte auf. Was sagte Henriette da? Es war aus zwischen den beiden? Für einen Moment überwog die Erleichterung jedes andere Gefühl. Stumm saß sie auf ihrem Bett, mit beiden Händen umfasste sie das Glas, während Henriette sich weiter in Beschimpfungen über Noah erging. Nie hätte Isabel für möglich gehalten, wie viel unterdrückte Wut, wie viel Leidenschaft sich hinter dieser schönen, kalten Fassade verbarg. Ob es wirklich so gewesen war, wie Henriette jetzt behauptete – dass sie ihm den Laufpass gegeben hatte? So, wie sie über ihn herzog, war es wohl eher andersherum gewesen, und sie redete es sich jetzt schön, um nicht als verlassene Geliebte dazustehen.
»Aber … wieso?«, flüsterte Isabel schließlich. »Wieso Noah? Sie sind doch …« Eine verheiratete Frau, hatte sie sagen wollen, aber Henriette verstand sie auch so.
»Wieso?« Sie hob ihr Glas erneut, sah, dass es leer war, und ließ es wieder sinken. »Was glauben Sie, was hier los ist, fernab der tugendhaften deutschen Heimat? Die Männer, die hierherkommen, haben fast alle eine einheimische Geliebte, manche sogar mehrere. Auch die verheirateten. Und glauben Sie bloß nicht, dass Berthold davon ausgenommen ist. Das nur als Warnung, falls Sie immer noch gedenken, ihn zu ehelichen. Ja, Sie müssen gar nicht so bestürzt schauen, Isabel, dieses Land bringt das Schlechteste im Menschen hervor. Nehmen Sie meinen geschätzten Herrn Gemahl. Er war kaum ein paar Wochen hier, als er sich auch schon Hals über Kopf in ein Samoa-Mädchen verliebte, mit ihr auf irgendeine Insel zog und mich hier zurückließ. Nur Berthold habe ich es zu verdanken, dass ich nicht in Schimpf und Schande als verlassene Ehefrau nach Deutschland zurückkehren musste.«
Sie stieß einen zornigen
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