Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
auch noch ein Schauer durch ihren Körper. Inzwischen kannte sie die Anzeichen eines nahenden Malariaanfalls. Wenn man früh genug etwas dagegen einnahm, konnte man meist Schlimmeres verhindern.
Als sie das letzte Mal Schüttelfrost bekommen hatte, hatte Noah sie gehalten. Nein, nicht schon wieder diese Gedanken! Sie stieß sich vom Geländer ab, drehte sich um und machte sich auf die Suche nach Dr. Timm, um ihn um eine Dosis Chinin zu bitten.
*
Die Fahrt die Küste entlang war ruhig und auch für den kleinen Dampfer mit seinem geringen Tiefgang problemlos zu bewerkstelligen. Die meisten der Träger und ein Teil der Forscher, darunter auch Dr. Timm, waren bereits in der kleinen Siedlung Stephansort von Bord gegangen. Dort würden sie auf die Rückkehr der Herzogin Elisabeth warten. Da der Landweg noch nicht erschlossen war, fuhr der Rest der Mannschaft mit Herrn Lauterbach, Isabel und Noah auf dem Seeweg weiter bis nach Finschhafen, dem Hauptort von Kaiser-Wilhelms-Land.
Der Himmel war bedeckt, als der Dampfer am Landungssteg festmachte. Kapitän Pahnke schickte einen der Träger los, um ihre Ankunft zu melden. Nur wenige Minuten später eilten einige mit Seitengewehren bewaffnete Polizeisoldaten heran. Jeder der eingeborenen Männer trug eine khakifarbene Schirmmütze mit großer Reichskokarde und einen Gürtel mit breiter Tasche über dem roten Lendentuch. Sie wurden von einem deutschen Polizeimeister in heller Tropenuniform angeführt, der sogleich von Kapitän Pahnke begrüßt wurde.
Kaum waren die Männer an Bord gegangen, schnaufte eine vertraute einarmige Gestalt heran: Berthold von Faber. Er stolperte auf dem Fallreep, so eilig hatte er es, an Bord zu kommen, konnte sich aber im letzten Moment noch halten.
»Isabel!«, keuchte er. Schweiß floss ihm von Stirn und Schläfen, seine Haare klebten platt und feucht an seinem Kopf. »O Isabel, ich … ich konnte es nicht glauben, dass Sie wirklich …« Täuschte sie sich, oder sah sie tatsächlich Tränen in seinen Augen? »Liebste Isabel, ich … ich bin ja so glücklich …«
Für einen Moment schien es, als wollte er sie an sich ziehen, doch dann nahm er lediglich ihre Hand in seine.
»Ich habe mir solche Sorgen um Sie gemacht. Geht es Ihnen gut?«
Isabel nickte wortlos. Schlaff lag ihre Hand in seinen feuchten Fingern, am liebsten hätte sie sie sofort zurückgezogen, um sie abzuwischen.
»O Gott, Isabel, ich war so verzweifelt. Ich hatte einen Suchtrupp losgeschickt, aber die Männer haben keine Spur von Ihnen gefunden. Ich … ich habe schon das Schlimmste befürchtet. Ich … wir alle dachten, Sie wären womöglich tot, ermordet von diesem … diesem braunen Teufel.«
Sein Hemd war zerknittert und wies große, feuchte Flecken auf, seine Weste war nur halb zugeknöpft, und er verströmte einen durchdringenden Schweißgeruch.
Isabel kam sich vor wie abgestorben. Außer einer kurzen, verhaltenen Freude über seinen Anblick fühlte sie – nichts. Sie zog ihre Hand aus seiner.
Herr Lauterbach, der die ganze Zeit neben Isabel gestanden hatte, räusperte sich leise. Jetzt erst schien Berthold sich darauf zu besinnen, dass sie nicht alleine waren. Wie durch eine dicke Watteschicht vernahm Isabel, wie er sich vorstellte, sowie seine gestammelten Worte des Dankes und der Freude, dass man Fräulein Maritz aus den Händen dieses Mordbuben gerettet habe. Isabel hielt den Kopf gesenkt und sagte nichts. Später würde sie einiges aufzuklären haben, aber nicht jetzt.
»Seien Sie vorsichtig, der Kerl ist gefährlich!«
Erst bei diesen Worten Bertholds hob sie den Kopf.
Sie fühlte sehr wohl etwas. Als sie sah, dass Noah von den Polizeisoldaten abgeführt wurde, begann ihr Herz zu rasen.
Er trug jetzt ein knielanges Hüfttuch und hatte den Schlangenbiss offenbar gut überstanden. Nur die Handschellen, die seine Hände auf den Rücken fesselten, hemmten seine Bewegungen. Kurz trafen sich ihre Blicke.
Berthold trat vor sie. »Sehen Sie nicht hin, liebste Isabel. Es ist vorbei. Es ist endlich vorbei.« Der Seufzer, den er dabei ausstieß, zeugte von seiner Erleichterung.
»Ja«, murmelte Isabel tonlos. »Das ist es.«
Diese ganze Situation kam ihr verzerrt vor wie in einem schlechten Traum. Sie erinnerte sich, wie sie schon einmal an diesem Landungssteg gestanden hatte. Wie Bruder Lorenz sie in Empfang genommen hatte. Mit einem Mal überkam sie heftige Sehnsucht nach dem hageren, gütigen Mann.
»Ich möchte nach Simbang«, murmelte sie. »Bitte,
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