Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
Ton aus. »Aber ich bin noch keine alte Frau! Ich habe gewisse … Bedürfnisse. Und Noah hat mich endlich wieder spüren lassen, wie es ist, begehrt zu werden.«
In diesem Moment fühlte Isabel fast Mitleid für sie – und schöpfte gleichzeitig neue Hoffnung. Wenn Henriette noch immer so viel für Noah empfand, dann würde sie ihn vielleicht wirklich vor der Mordanklage retten können.
»Bitte, Henriette, Sie müssen ihm helfen! Wenn Sie ihn lieben, dann müssen Sie –«
»Ihn lieben ?« Henriette betonte das Wort, als wäre es etwas Schmutziges. »Noah? Diesen Bruder Leichtfuß? Ja, ich muss zugeben, er ist ein hübscher Bursche, und er war für eine gewisse Zeit ein recht angenehmer Zeitvertreib, aber … Er ist ein Halbweißer, ein Mischling! Noch dazu einer, der keine Ahnung hat, welcher der weißen Kolonialherren sein Vater war!«
»Nein, nicht sein Vater«, gab Isabel mit plötzlichem Widerspruchsgeist zurück. Dieses Wissen immerhin hatte sie Henriette voraus. Sie stellte ihr Glas auf den Nachttisch. »Es war seine Mutter.«
»Wie bitte?«
Für einen Augenblick genoss Isabel es, Henriette verwirrt zu sehen. »Seine Mutter war Deutsche. Nicht sein Vater.«
Henriette zog die fein geschwungenen Brauen hoch. »Woher wissen Sie das? Hat er es Ihnen erzählt? Und Sie glauben ihm? Isabel, meine Liebe, Sie müssen noch viel lernen.«
Isabel ballte die Fäuste und versuchte, wieder ruhiger zu werden, sich ihren inneren Aufruhr nicht anmerken zu lassen. Es ging hier nicht um sie.
»Henriette, bitte. Wollen Sie, dass er gehängt wird? Für einen Mord, den er nicht begangen hat?«
»Das ist bedauerlich, aber vermutlich nicht zu vermeiden.« Henriette hatte sich wieder vollkommen unter Kontrolle.
»Doch, das ist es! Sie … Sie müssen einfach nur aussagen, dass er in der Nacht bei Ihnen war.«
»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich dermaßen meinen Ruf ruiniere!«
Isabels Herz sank, Kälte machte sich in ihr breit. Unter Henriettes forschendem Blick kam sie sich plötzlich vor wie ein seltenes Insekt.
Dann lachte Henriette schrill auf. »Sagen Sie bloß, Sie haben sich in ihn verguckt? Herrje, das ist ja schlimmer als in diesen billigen Kolportageromanen. Isabel, er ist ein Mischling! Und er hat Sie entführt!« Sie schüttelte tadelnd den Kopf. »Machen Sie sich nichts daraus, Sie werden darüber hinwegkommen. Aber lassen Sie es bloß nicht Berthold wissen!« Sie blickte in den Spiegel der Frisierkommode und strich sich anmutig über das aufgesteckte blonde Haar. »Außerdem war er nicht die ganze Nacht bei mir, sondern nur für ungefähr eine Stunde. Dann habe ich ihn hinausgeworfen. Er hätte den armen Herrn Konings danach also immer noch umbringen können.« Sie erhob sich aus dem Stuhl, stand für einen Augenblick leicht schwankend da und wandte sich dann zur Tür. »Ich gehe davon aus, dass mein Name nicht mit ihm in Verbindung gebracht wird. Falls doch, dann werde ich alles leugnen und behaupten, er habe mir Gewalt angetan. Nachdem er Sie entführt hat, wird mir das jedes Gericht der Welt glauben.«
Isabel starrte sie fassungslos an. Hatte sie das richtig verstanden?
Henriette drehte sich noch einmal um, ein spöttisches Lächeln verzog ihr Gesicht. »Aber wenn Sie so viel für ihn empfinden, dann können Sie ja für ihn aussagen.«
»Gehen Sie«, murmelte Isabel. »Lassen Sie mich allein.«
Sie ließ sich rücklings auf das Bett sinken, das ihr unangenehm weich vorkam, und zog sich das Kopfkissen über das Gesicht.
22.
Isabel lag auf dem Bett und starrte das feine, helle Geflecht des Moskitonetzes über sich an. Aus der Küche hörte sie Kiso, Bertholds eingeborene Hausangestellte, mit Töpfen scheppern. Aus dem Salon, wie Henriette das Speisezimmer nannte, erscholl lautes Männergelächter. Außer Isabel wohnte noch immer Baron de Wolff, der Kompagnon des ermordeten Herrn Konings, bei Berthold und seiner Schwester. Solange der Fall nicht aufgeklärt sei, so Berthold, habe er dem Baron jegliche Unterstützung zugesichert.
Obwohl Baron de Wolff sie mit warmen Worten begrüßt und seiner Erleichterung Ausdruck verliehen hatte, dass sie gesund zurückgekehrt sei und man den Verbrecher endlich gefasst habe, war ihr der Mann nicht wirklich sympathisch. Sein Auftreten war ihr zu laut und zu selbstherrlich, sein Geruch nach Tabakrauch zu intensiv. Zumindest heute Abend. Heute Abend war ihr alles und jeder zuwider. Sie hatte kaum etwas gegessen, sich gleich danach entschuldigt und in ihr
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