Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
ausfallen. Ruhen Sie sich aus, Schwester Maritz«, hörte sie noch wie aus weiter Ferne. »Ruhen Sie sich aus.«
Und das tat sie. Erneut fielen ihr die Augen zu.
Einmal, als sie mitten in der Nacht aus ihrem Dämmerschlaf aufschreckte, glaubte sie, eine Gestalt an ihrem Bett zu sehen.
»Conrad?«, hauchte sie.
»Schlafen Sie weiter, Schwester Maritz«, flüsterte Bruder Lorenz’ Stimme. Gleich darauf spürte sie die wohltuende Kühle eines frischen, feuchten Tuchs um ihre Waden. Sie war zu erschöpft, um sich diese intime Berührung zu verbitten – eigentlich durfte kein Mann ihre Beine sehen, schon gar nicht ihr schwaches Bein. Aber es fühlte sich so gut an …
Und schon sank sie wieder hinüber in die fiebrige Umarmung der Krankheit.
*
Gellendes Vogelgeschrei schrillte wie ein Alarm durch Isabels Gehirn, hinter ihren Lidern pochte es. Sie schlug die Augen auf. Sonnenlicht schien in den Raum, durch das helle Netz sah sie alles wie durch einen feinen Nebel. Koki saß auf der hölzernen Umrandung ihres Bettes, zupfte am Moskitonetz und fand offenbar, dass es für sie Zeit zum Aufstehen war.
Vorsichtig richtete sie sich auf. Noch immer trug sie ihr gelockertes Korsett mit der geöffneten Bluse darüber und den langen Rock. Sie fühlte sich noch ein wenig matt, aber die große Schwäche in ihren Gliedern und die Fieberschauer waren verschwunden. Die ganze Nacht hatte sie in diesem Dämmerzustand zwischen Wachen, Schlaf und Traum gelegen. Sie erinnerte sich nur noch an die schreckliche Hitze, die in ihrem Körper getobt hatte, an Schwitzen und Zittern und ein Gefühl von Krankheit. An Bruder Lorenz, der ihr Wadenwickel anlegte. An unruhige Träume von Conrad und den Missionsbrüdern.
Ein dringendes Bedürfnis riss sie aus ihren Erinnerungen. Noch leicht zittrig schlug sie das Moskitonetz beiseite und stand auf. Koki flatterte durch das geöffnete Fenster davon. Ein hastiger Blick unter das Bett zeigte ihr, dass dort kein Nachttopf stand, und auch sonst war keiner zu finden, wie eine kurze Suche ergab. Sie würde zum Abtritt gehen müssen. Auch wenn sie völlig verschwitzt war – sich waschen und die Wäsche wechseln konnte sie später. Jetzt musste sie erst einmal den Forderungen ihres Körpers nachgeben.
Schnell schloss sie Korsett und Bluse, richtete flüchtig ihre Haare und machte sich dann daran, rückwärts die wackelige Leiter aus der Hütte hinabzusteigen. Sie atmete auf, als sie wieder auf festem Boden stand, dann eilte sie zu dem hinter ein paar Bäumen stehenden Abtritt. Bei Herrn von Faber war dieser Ort wesentlich luxuriöser gewesen; er hatte sogar ein Wasserklosett.
Der Wald war schon voller Leben. Durch die dampfende Luft des Morgens klang der Gesang der Zikaden, über ihr in einer Bananenpalme zeterten und zwitscherten ein paar bunte Vögel. Weiße und bunt gefleckte Orchideen mit kleinen Blüten wanden sich in Spiralen um einen Baumstamm. Ein Windhauch fuhr raschelnd durch die Palmenkronen, und vom Strand her waren die Schreie von Seevögeln und das leise Rauschen der Brandung zu hören. Es war wunderbar friedlich, geradezu paradiesisch.
Bis sie sah, dass die Tür des Vorratsschuppens, einer Pfahlhütte aus vorgefertigten Brettern mit einem Wellblechdach, offen stand.
Sie ging ein paar Schritte näher. Als Bruder Lorenz ihr gestern das Dorf und die Missionsstation gezeigt hatte, war diese Tür mit einem eisernen Schloss abgesperrt gewesen, da war sie sich ganz sicher. Hatte er ihr nicht erzählt, dass es immer wieder zu Diebstählen kam? War dort etwa jemand eingebrochen?
Hilfesuchend sah sie sich um. Niemand war zu sehen, nur aus der kleinen Missionskirche erklang der Gesang der Morgenandacht. Sollte sie Alarm schlagen? Aber womöglich hatte nur einer der Brüder vergessen, die Tür wieder zu schließen.
Sie atmete tief durch, dann kletterte sie zögernd die Leiter zum Vorratsschuppen hinauf und schaute durch die geöffnete Tür. Leise Geräusche waren zu vernehmen, etwas wie ein Rascheln und Kratzen. Ein Tier?
»Ist da jemand?«, fragte sie, aber es kam so gedämpft aus ihrer Kehle, dass sie sich selbst kaum hörte.
Sie trat einen vorsichtigen Schritt näher, hinein in den Schuppen, und lugte um die Ecke. Und sah einen Einheimischen, mit dem Rücken zu ihr und nur mit einem roten, bis zum Knie reichenden Lendentuch bekleidet, der soeben ein Bündel auf seine Schulter lud.
»Halt, stehen bleiben!«, entfuhr es ihr, vor Schreck und Empörung auf Deutsch. »Was tust du da? Yu … yu
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